
© Andreas Klaer
Homepage: Aussöhnung als Motiv
Richard von Weizsäcker an der Uni Potsdam
Stand:
Viel zu sagen hat er allemal. Respektvoll spricht er von Freunden und Verwandten, traurig von Krieg und deutscher Teilung, ergriffen vom Mauerfall und gelassen von Politik. Richard von Weizsäcker, bislang populärster Bundespräsident, machte das Spiegel-Gespräch am Montagabend in Griebnitzsee zur eindrucksvollen Reise durch das 20. Jahrhundert. Gerade hat der rüstige 89-Jährige sein Buch „Der Weg zur Einheit“ herausgebracht. Hier aber, im prall gefüllten Hörsaal, erleben wir mehr Mensch als Autor, Charisma ohne Eitelkeit.
Wenn Weizsäcker die Theologen, Mediziner, Juristen und Politiker unter seinen adligen Vorfahren beschreibt, schwingt Stolz, aber auch Wehmut und Nachdenklichkeit mit. Was dachte Großvater Karl Hugo, zwölf Jahre lang Ministerpräsident im Königreich Württemberg, über den Versailler Vertrag? Wie waren die Gespräche mit Vater Ernst, einem später in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilten NS-Diplomaten, über Hitler und den Irrsinn des Zweiten Weltkrieges? Die Spiegel-Reporter Martin Doerry und Klaus Wiegrefe sind nicht gerade auf ein Teekränzchen aus, und das Publikum hält immer wieder den Atem an.
Der junge Weizsäcker, im Herbst 1939 gerade mal 19 Jahre alt, erlebt den Zweiten Weltkrieg vom ersten bis letzten Tag als Soldat. Beim Einmarsch in Polen verliert er seinen Bruder schon nach wenigen Stunden. Später erkennt er, wie die Kriegsführung der Nazis „immer mehr auf ein veritables Verbrechen hinausläuft“, lernt die Verschwörer Stauffenberg und Schulenburg kennen – und ist entsetzt, als das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 fehlschlägt. Es ist der einzige Punkt an diesem Abend, an dem Richard von Weizsäcker die Stimme versagt: „Nach Stauffenbergs gescheitertem Attentat gab es noch mehr Menschenverluste als im gesamten Kriegsverlauf zuvor.“
Wann genau für den Soldaten Weizsäcker das große Erwachen gekommen ist, bleibt unklar. Nach Kriegsende aber haben zwei wesentliche Faktoren sein privates und politisches Leben geprägt: Verantwortung und Aussöhnung. Weizsäcker studiert Rechtswissenschaften in Göttingen, engagiert sich in der Evangelischen Kirche, wird dort während der 60er Jahre Kirchentagspräsident. Beeindruckend seine Schilderung der schwierigen Nachkriegsjahre und der Aufbruchstimmung unter Adenauer. Doch die „Wir-sind-wieder-wer“-Stimmung wird ihm ein Leben lang fremd bleiben. Gerade auf Evangelischen Kirchentagen in West und Ost, einer, so Weizsäcker, „sehr kreativen Laienbewegung“, wächst sein Verständnis für Osteuropa. Trotz Mauerbau und Wettrüsten wird er kein Kalter Krieger. Im Gegenteil: „Mir wurde bewusst, dass es die Aufgabe unserer Generation war, eine Versöhnung mit den polnischen Menschen zu versuchen. Das Land ist immer wieder neu verraten, geteilt, zerstört worden“, erinnert Weizsäcker. „Wir kamen zum Schluss, dass eine Akzeptanz der neuen Ostgrenzen notwendig sein würde.“
Auch im Nachhinein nennt der Bundespräsident a.D. die Aussöhnung mit dem östlichen Nachbarland als Hauptmotiv, in die Politik gegangen zu sein. Ob die CDU der 60er Jahre dafür die passende Partei gewesen sei, fragt Spiegel-Redakteur Martin Doerry spitz nach. Und da ist er wieder, der selbstbewusste, altersweise und auch ein bisschen selbstironische Weizsäcker: „Ich gebe zu, in diesen außenpolitischen Fragen meiner Partei mehr Kummer als Freude bereitet zu haben.“
1984 wird Weizsäcker Bundespräsident, und er bleibt es für volle zehn Jahre. In der Mitte seiner Amtszeit fällt der „Eiserne Vorhang“, demokratisiert sich Osteuropa, gelingt die deutsche Wiedervereinigung. Doch schon 1987 trifft Weizsäcker zum ersten Mal Gorbatschow. 22 Jahre später spricht er, bei allen politischen Differenzen, mit viel Achtung vom einstigen Kreml-Reformer: „Gorbatschow war pragmatisch, mutig und anständig – und das ist er geblieben.“ Den Mauerfall erlebte Weizsäcker in Potsdam. „Alles konzentrierte sich am Brandenburger Tor, aber mich zog es zur Glienicker Brücke. Dort ging doch die eigentliche Tür zu Außenwelt auf“, erzählt er. Und: „Glauben Sie mir, die Glienicker Brücke wird nie mehr geschlossen!“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: