Landeshauptstadt: Ballontest an der Vogelweide
Umgebungsschutz zur einzigartigen Synthese von Garten- und Baukunst in Potsdam
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Umgebungsschutz zur einzigartigen Synthese von Garten- und Baukunst in Potsdam Von Erhart Hohenstein Die Bundeswehr will die Ende des 19. Jahrhunderts angelegten Kasernen an der Kaiser-Friedrich-Straße aufgeben. Hier sieht die Stadtverwaltung ein neues Feld für Wohnbebauung. Diese würde auch die Interessen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten berühren. „Vom Park Sanssouci am Neuen Palais besteht eine der wenigen erhaltenen landschaftlichen Verbindungen bis hin zum Katharinenholz“, erläutert Gartenkustos Jörg Wacker den PNN. „Sie darf nicht durch zu hohe Gebäude verstellt werden.“ Als Stellvertreter des Stiftungs-Gartendirektors ist Wacker auch mit dem Umgebungsschutz betraut, der der Bebauung im Umfeld des Weltkulturerbes Grenzen setzt. Im Bauboom der Nachwendezeit hat die Stiftung dabei auch Niederlagen hinnehmen müssen. Markanteste Beispiele sind die Bebauung des Glienicker Horns mit Stadtvillen und das Potsdam-Center, das die Unesco zu der Überlegung veranlasste, Potsdam aus der Liste des Weltkulturerbes zu streichen. Inzwischen ist der Bauboom abgeflaut, und die Zusammenarbeit zwischen den Baubehörden und der Stiftung hat sich verbessert. Dass neue Vorhaben der Stiftungskonservatorin Dr. Gabriele Horn vorgelegt und durch die Gartendirektion geprüft werden, ist zur Regel geworden. Zurzeit geht es unter anderem um den Bebauungsplan 95 „Nördlich des Pfingstberges/Vogelweide“. Für das von den Roten und Grauen Kasernen, der ehemaligen Villa Jacobs, Bertinistraße/Bertiniweg und im Süden von zwei Kleingartensparten begrenzten neun Hektar großen Gebiet drängt die Stiftung darauf, die Sicht vom Belvedere Pfingstberg über den Jungfernsee zum Königswald und zur Nedlitzer Brücke von Bebauung frei zu halten. Wie schon für andere Baugebiete wurde visuell überprüft, ob die Sichtbeziehungen gestört werden. Dazu wurden Ballons in Höhe der Gebäudeoberkanten aufgelassen. Der im Potsdamer Amtsblatt 9/14 veröffentlichte Bebauungsplan sieht nun statt einer kompakten Wohnbebauung „größere Einfamilienhäuser/Residenzen in offener Bauweise auf mindestens 1000 Quadratmeter großen Grundstücken“ vor. Für die Weltkulturerbestätten hat die Stadt Potsdam gemeinsam mit der Stiftung eine Leitplanung erarbeitet und davon ausgehend einen „Gestaltplan“ als Entscheidungshilfe für die Baubehörden vorgelegt, der auch den Umgebungsschutz regelt. Ausgangspunkt ist das brandenburgische Denkmalschutzgesetz, wonach die Umgebung die Wirkung eines Denkmals nicht beeinträchtigen darf. Für Potsdam sind Kernzonen und die sie verbindenden Landschaftsräume ausgewiesen, in denen Kubatur und Bauhöhen begrenzt und Sichtbeziehungen erhalten werden müssen, insbesondere die linearen Sichten der barocken Achse, die Blicke aus den Landschaftsparken auf Bauten, die Höhenblicke auf die Stadt und die Gärten (z.B. Belvedere Klausberg) und die Panoramablicke (Orangerieschloss, Pfingstbergschloss, Normannischer Turm). In die Leitplanung wurden auch die „Dissenspunkte“ aufgenommen, in der Umgebungsschutz und Bebauung im Widerspruch stehen. Als Beispiel nennt Jörg Wacker die Kiewitt-Hochhäuser, die 1966 als Symbole der neuen, „sozialistischen“ Zeit bewusst in die Mittelachse der Weinbergterrassen von Sanssouci gestellt wurden. Ein Rückbau wäre wünschenswert, lässt sich aber aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen kaum durchsetzen. Einiges ist jedoch bereits gewonnen, wenn z.B. bei der Sanierung und Modernisierung von Vielgeschossern aus der DDR-Zeit eine zurückhaltende Farbgebung gewählt wird. Da kann Jörg Wacker auf eine Reihe von Erfolgen hinweisen. Er nennt die aus der Fernsicht unauffällig in Grau-Grün-Rosé und Orange-Grün-Grau gehaltenen Hochhäuser Breite Straße, die zurückhaltend Blau-Grau-Gelb gestalteten im Zentrum-Ost, die in Richtung des Ruinenbergs Grau-Grün gestrichenen Wohnblöcke am Reiherweg, die sich kaum vom Laub der Bäume abheben, und Punkthochhäuser am Jagdschloss Stern. Eine verständnisvolle Zusammenarbeit gibt es jetzt mit den Baufirmen, die die Fassade des Internatshochhauses der Sportschule am Luftschiffhafen renovieren. Dagegen gibt es ausgerechnet in der Sanssouci-Achse aus Sicht der Stiftung negative Beispiele: ein farblich intensives Punkthochhaus Auf dem Kiewitt, der grellweiße Neubau neben dem Beyertt-Block in der Zeppelinstraße und die knallbunt renovierten Wohnscheiben am Marktcenter. Nicht nur Investoren, die ihre Bauvorhaben behindert sehen, auch manche Laien halten das Drängen der Stiftung auf strengen Umgebungsschutz für überzogen. Dazu erklärt der Gartenkustos: „Alle Parke des 500 Hektar großen Potsdamer Gartenreiches stehen miteinander und mit der Bebauung der Stadt in Beziehung. Die bewusst herbeigeführte und bis 1945 erhaltene Synthese zwischen Garten- und Baukunst ist einzigartig und macht den Reiz Potsdams aus. Auch heute können qualitätsvolle Architektur und zurückhaltende Farbgebung diesen Gesamteindruck positiv ergänzen. Er ist ein wichtiger Grund dafür, dass sich Bewohner und Besucher in der Stadt wohl fühlen. Würden wir diese Einheit nicht verteidigen und bewahren, verlöre Potsdam seine besondere Wohn- und Lebensqualität. “
Erhart Hohenstein
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