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Am Boden. Lea und Denise beim Einüben einer Choreographie.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Barfuß tanzen im Unterricht

Der Franzose Ludovic Fourest lehrt erstmals an der Theodor-Fontane-Oberschule eine Woche lang zeitgenössischen Tanz

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Wenn Ludovic Fourest den Rhythmus vorzählt, muss er das meistens mehrmals machen. Fünf, sechs, sieben, acht. Erst beim dritten Anlauf sind alle Schüler dabei, das Quatschen hat aufgehört und es kann losgehen. Seit Anfang der Woche tanzen die Achtklässler der Theodor-Fontane-Oberschule in der Waldstadt mit dem französischen Tänzer und Choreografen, Ludovic Fourest. Eine Projektwoche, die den Jugendlichen erstmals den Weg zu mehr Körpererfahrung und letztlich zu sich selbst eröffnen soll.

Tanz an Schulen ist spätestens seit dem Projekt des Dirigenten Sir Simon Rattle, „Le Sacre du Printemps“, mit Berliner Jugendlichen auf dem Vormarsch. Auch die Bundesregierung hat mit ihrer Initiative „Tanzzeit“ Bewegung in die Schulen gebracht. „Durch Tanzen soll Kindern und Jugendlichen alternative Wege des Denkens und Handelns eröffnet und sie in ihrer physischen, geistigen und emotionalen Entwicklung langfristig unterstützt werden“, heißt es. Zum ersten Mal veranstaltet in Potsdam nun eine Oberschule mit Ludovic Fourest eine Projektwoche in zeitgenössischem Tanz.

Am zweiten Tag will Fourest die Jungen und Mädchen barfuß tanzen lassen. Sie sollen sich einfach die Schuhe ausziehen. Eine lange Diskussion setzt ein. „Barfuß tanzen ist voll eklig“, sagt eine Schülerin. „Ich mag meine Füße nicht“, ein anderer. „Wenn man tanzen will, sind die Füße das Wichtigste“, erklärt Fourest den 13- und 14-Jährigen und besteht darauf: „Wir tanzen barfuß.“

Es wird viel geredet, coole Sprüche werden ausgetauscht. Doch die Konzentration zu behalten, das fällt den meisten Schülern schwer. Auch anstrengende Phasen – Schwitzen, Müdigkeit und Erschöpfung – halten sie kaum aus. „Eh, mir tut alles weh“, klagt ein Mädchen über ihren Muskelkater.

Viele Schüler würden mit Fernsehen und Videos aufwachsen, sagt Fourest. „Die Muster, die sie da sehen, sind perfekt. Sie repräsentieren ein Ideal, das die Kinder niemals erreichen können.“ So hätten viele von ihnen auch am ersten Tanztag nur vor dem Spiegel gestanden. Doch was sie sehen, sind keine Popstars, sondern Jugendliche mit Körpern, die noch nicht fertig sind. „Die Bilder, die sie von der Welt haben, passen nicht mit ihrer Wirklichkeit überein.“

Sich selbst zu finden in den schwierigen Jahren der Pubertät, das lernen die Schüler sonst nicht in der Schule. Einen Hauch davon ihnen zu vermitteln, ist das Anliegen der Tanzwoche. Es mangele den Schülern nicht an Bewegung, erklärt Musiklehrerin Beate Müller, die das Projekt mitbetreut. „Aber sie nehmen ihren Körper nicht bewusst wahr. Sie ahmen ein Ideal nach, aber sie erkennen sich nicht selbst.“

Es sind einfache Übungen, die Fourest mit den 19 Jungen und Mädchen in dem Tanzraum der Schule macht: Etwa Positionen auf ihrem Stuhl einnehmen, die die anderen nachahmen sollen. Einer klettert waghalsig auf seinen Stuhl, balanciert auf einem Bein. Wer sich traut, imitiert. „Darf ich das heute noch mal machen?“, fragt ein Schüler, als er auf den Stuhl klettert, mit Blick auf seine Lehrerin. „Ich find’s gut“, sagt die 13-jährige Cindy Neubert, „dass wir das hier in der Schule machen können und rumtoben“. Das sollte jedes Jahr stattfinden, meint Lorenzo Ciesla. „Ich find’s cool, dass man neue Bewegungen lernen kann“, sagt der 14-jährige Felix Tillich. „Ludo bringt uns einfache Sachen bei und viele neue Erfahrungen.“

Wenn es nach Lehrerin Müller geht, wäre Tanz längst ein Unterrichtsfach. „Wenn die Möglichkeit bestünde, so etwas in die Lehrpläne aufzunehmen, dann hätten wir im Schulalltag einige Sorgen und Probleme weniger.“ Die Schüler wären ihrer Meinung nach zufriedener, sie könnten ihre Aggressionen besser abbauen, wenn sie lernten, ihre Gefühle über Körpersprache auszudrücken. „Ich bin überzeugt davon, dass, wenn von dem Krippenalter bis in hohe Klassen hinein regelmäßig die Schüler tanzen würden, die Situation an unseren Oberschulen eine andere wäre.“

Müller überlegt – vorausgesetzt, das Geld ist da – den Tanz mit Ludovic Fourest als eine Art AG nach dem Vormittagsunterricht anzubieten. „Es ist für die Schüler wie eine Therapie.“ Das Schöne sei für sie, zu sehen, dass die Jugendlichen vieles unbewusst lernten. Zu Beginn der Tanzwoche hätten die Schüler ständig gefragt, wann tanzen wir endlich? Doch da bewegten sie sich schon längst – und tanzten.

nbsp;Grit Weirauch

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