Etwas HELLA: Baustellen wie Löcher im Käse
Wer älter wird, weiß, die Zipperlein nehmen zu. Mein Arzt doktert gerade an meinem Kniegelenk herum, bandagierte eine Schwellung des rechten Knöchels, wegen eines Bandscheibenvorfalls werde ich durchgeknetet, ich soll literweise Tee trinken und Tabletten schlucken, was mich ständig aufs Klo treibt.
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Wer älter wird, weiß, die Zipperlein nehmen zu. Mein Arzt doktert gerade an meinem Kniegelenk herum, bandagierte eine Schwellung des rechten Knöchels, wegen eines Bandscheibenvorfalls werde ich durchgeknetet, ich soll literweise Tee trinken und Tabletten schlucken, was mich ständig aufs Klo treibt. Die linke Hand wurde wegen eines Überbeins außer Kraft gesetzt und die Augenlider sind gerade gestrafft worden. Erstaunlicherweise darf ich aber mit der rechten Hand noch diese Kolumne tippen. Als ich gemeckert habe, dass alle diese Body-Reparaturen ohne Rücksicht auf Verluste gleichzeitig in Angriff genommen werden, meinte der Doktor: „Seien Sie doch froh, dann haben Sie alles auch mit einem Mal hinter sich.“
Nun weiß jeder, dass Vergleiche hinken. Da ich das aber auch gerade tue, sei mir ein Vergleich mit den Straßenbauarbeiten in unserer schönen Stadt gestattet. Mit seinen über 1000 Jahren kränkelt Potsdam naturgemäß mal hier und mal da und muss auf Vordermann gebracht werden. Die Rohrleitungen unter dem Straßenbelag sind marode. Der Belag obendrauf auch. Ist es da nicht vernünftig, in einer Großaktion überall mit Bauarbeiten zu beginnen und die Stadt rundzuerneuern, damit sie im Allgemeinen und die Autofahrer im Besonderen dann jahrelang eine geradezu himmlische Bauruhe genießen können? Freie Fahrt über alle Nord-Süd- und Ost-West-Achsen, in den Nebenstraßen sowieso und ungehindertes Flanieren in der City. Ganz so, wie es sich für eine Touristenstadt gehört. Dass es auch in Folge noch Baustellen gibt und die Straßen ziemlich planlos weiter aufgerissen werden, ist ein übles Gerücht. Genau so wie jenes, dass der Stadtkanal jemals einen anständigen Anblick bieten und dass das Leipziger Dreieck verkehrsgünstig umgebaut wird. Keine Angst, es ist für beides kein Geld da. Und das ist das beste Argument für Bauruhe.
Vielleicht ist ja aber auch mein Vergleichsansatz völlig falsch und ich sollte all die Baustellen eher mit den Löchern in einem Schweizer Käse vergleichen, die das beste und attraktivste am Käse sind und von dessen Qualität zeugen. Potsdam ist schließlich auch eine Marke für sich und auf diese Weise kann man sich all den Baustellen zwischen Humboldtbrücke und Breite Straße, zwischen Horstweg und Friedrich-Ebert- Straße mit ganz anderen Gefühlen nähern. Wenn man im Stau steht, wehen einem nicht nur Feinstaub und Abgase um die Nase, man wittert vielmehr schon das gut belegte Käsesandwich und freut sich darauf, dass man es sich zu Hause endlich zubereiten kann.
Kommt da nicht letztlich sogar Neid auf, dass man selbst keine Baustelle vor der Tür hat und sich eigentlich auf gar nichts freuen kann? Nicht einmal darauf, dass die Bauerei endlich ein Ende nimmt. Ich bin schon total frustriert ob meines baustellenlosen Hauseingangs und habe jetzt an die Stadtverwaltung geschrieben. Ich will meine ganz persönliche Baustelle vor der Haustür haben. Bin ich denn kein vollwertiger Potsdamer, dass mir die verwehrt wird? Schließlich hat inzwischen fast jeder eine in seiner Nähe, egal ob ihn ein Riesending nervt oder eine ganz kleine erfreut.
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.
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