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DICHTER Dran: Bayerischer Himmel über Potsdam

Freiwillig wäre ich nie aufs Oktoberfest gegangen. Ich bin volksmusikresistent und schunkelfeindlich.

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Freiwillig wäre ich nie aufs Oktoberfest gegangen. Ich bin volksmusikresistent und schunkelfeindlich. Aber die Amerikanerin, der ich die Schlösser Sanssouci und Babelsberg gezeigt, die Glienicker Brücke und den Mauerfall erklärt hatte, fand das Plakat mit Dirndln und Weißwürschtln so deutsch, dass sie meine Weigerung als Selbstverleugnung auslegte, mich ins Auto schob und befahl: „Drive!“ Eine Amerikanerin kann nicht wissen, dass sich Menschen, die im kargen Brandenburgischen großgeworden sind, der bayerisch üppigen Ausgelassenheit, die einer aus der Haut geplatzten süßen Weißwurst ähnelt, zunächst einmal vorsichtig, auf jeden Fall aber kritisch nähern. Sie konnte nicht wissen, dass ein G’sangshuberle in Sepplhosen in den preußischen Schlössern und Gärten – das Festzelt stand im Krongut Bornstedt – auf mich so wirkt wie eine Busenvergrößerung: unnötig. Silikon im Gewebe. Aber Amerikaner sind krisengeschüttelt. Man möchte ihnen gerade heute das Bisschen Spaß nicht verderben. Also machte ich eine flotte Bemerkung über den Himmel, der im Streifen zwischen zwei Sonnenschirmen in blau-weißen Landesfarben aufgezogen war, trank ein Maß und aß die Brezn. Dass dieses mit Lauge vollgesaugte Ding einer mürben, mehligen Kartoffel völlig unterlegen war, behielt ich für mich. Nur mein Fuß begann ohne meine Anweisung zu wippen. Ganz klar: Nervosität.

Im Zelt klatschte man im Rhythmus, die gröbsten Refrains sang man mit. Die Körper wankten trunken, nur die Gesichter blieben eigenartig abstinent. Als würde man am bedirndelten Busen bloß herumtasten, noch immer verunsichert von solch prallem Überfluss. Als die Volksmusiker Witze über die Finanzkrise zwischen Volk und Musik schoben, wurde auch das Gesicht der Amerikanerin auf einmal preußisch streng. Sie fand es nicht mehr lustig. Auch erinnerte sie das gesangsfreie Sprechen, das überhaupt nicht bayerisch, sondern schwäbisch klang, an das Gefühl, durch und durch betrogen worden zu sein. Einvernehmlich zogen wir ab.

Unsere Autorin lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen und war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Antje Rávic Strubel

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