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Landeshauptstadt: Beängstigendes Verständnis für Rechtsstaat

Die Hauptverhandlung im Fall Julia S. läuft seit vergangener Woche vor dem Landgericht Potsdam und eigentlich sollte man Prozesse nicht durch öffentliche Kommentare beeinträchtigen.

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Die Hauptverhandlung im Fall Julia S. läuft seit vergangener Woche vor dem Landgericht Potsdam und eigentlich sollte man Prozesse nicht durch öffentliche Kommentare beeinträchtigen. Viele Rechtsanwälte pflegen sich an diesen ungeschriebenen Grundsatz schon lange nicht mehr zu halten. Ich möchte dagegen nur ausnahmsweise verstoßen, denn ein Verteidiger hat zum Prozessauftakt dem den Fall bearbeitenden Staatsanwalt Petersen, auf den sich die Potsdamer Unterstützerszene zuvor bereits eingeschossen hatte, einen „juristischen Amoklauf“ vorgeworfen, weil er die Ermittlungen wegen versuchten Mordes geführt hatte. Unterschlagen worden ist dabei, dass seine Auffassung zuvor in Haftentscheidungen des Landgerichts Potsdam und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts geteilt worden war. Dass nun (nur) wegen gefährlicher Körperverletzung verhandelt wird, ist auf ein späteres rechtsmedizinisches Gutachten zurückzuführen, das dem verwendeten Teleskopschlagstock die Eignung als „Totschläger“ abgesprochen hat.

Wie dem auch sei, die Unterstützerszene hat Julia S. bereits zur Märtyrerin erklärt. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Hauptverhandlung ergeben würde, dass sie sich an einer Hetzjagd mehrerer „Linker“ auf einen „Rechten“ beteiligt hat, in deren Verlauf auf den am Boden Liegenden eingeschlagen und eingetreten worden ist. Denn für Teile der Szene ist das offenbar nicht kriminell. Das entnehme ich dem Text einer Postkarte, die mir seit Beginn der Ermittlungen von 218 Absendern mit der Forderung nach Freilassung von Julia S. übersandt worden und auf der als Überschrift zu lesen ist: „Antifaschismus ist nicht kriminell, sondern notwendig!“.

Vor fast genau zehn Jahren habe ich in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ gefordert, dass wir gegen den Rechtsextremismus ein breites gesellschaftliches Bündnis benötigen, „das vom stramm Konservativen bis zum autonomen Spektrum reicht“. Kritiker habe ich damals darauf hingewiesen, dass es unter den Autonomen Menschen gibt, die den Kampf gegen den Rechtsextremismus mit rechtsstaatlichen Mitteln führen wollen und für die auch Rechtsextremisten Menschenrechte haben. Es gibt unter den Autonomen aber auch solche, die – wie früher die „Rote Armee Fraktion“ – zwischen „Menschen“ und „Schweinen“ unterscheiden (die man schlachten darf!). Das ist für mich ebenso faschistoid wie das bisher in Brandenburg nur von den Rechtsextremisten bekannte Szenario, dass mehrere auf einen am Boden Liegenden einschlagen und eintreten. Ich hoffe, dass man sich in der Unterstützerszene damit endlich auseinandersetzt.

Der Autor ist Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg

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