Von Erhart Hohenstein: Beethovens „Ehemaliger“
90-jähriger Altlehrer engagiert sich für 100-Jährige Schuljubiläum in Babelsberg
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Bei Herbert Schmidt trifft sich in kleinerer Runde ein Personenkreis, um das 100-jährige Bestehen des Babelsberger Althoff- Gymnasiums, heute dient das Gebäude der Goethe Gesamtschule, vorzubereiten. Bei einem guten Tropfen – eine Tochter Schmidts leitet ein Weingut an der Nahe – spürt er anhand von Namenslisten den Adressen von etwa 500 Schülern aus 35 Klassen nach, die bis 1962 am Gymnasium, später Beethoven-Oberschule, ihr Abitur gemacht haben. Für gut 200 Personen ist das gelungen, berichtet Schmidt, weit über die Hälfte davon werde wohl im Frühjahr zur Jubiläumsfeier kommen. Außerdem bereitet der Arbeitskreis für die Abiturienten von einst Zeitzeugenabende, natürlich die Teilnahme am Festakt, eine Ausstellung zur Schulgeschichte, eine Dampferfahrt und eine Besichtigung der Neuendorfer Angerkirche vor. Der Schule wollen die „Ehemaligen“ ein Instrument für den Musikunterricht spenden.
Gut, dass Herbert Schmidt über all diesen Vorhaben nicht seinen Ehrentag vergessen hat. Heute begeht der „Altlehrer“, wie er in einigen Schriftstücken genannt wird, nämlich seinen 90. Geburtstag. Dazu gratulieren auch die PNN, deren Leser er seit Jahrzehnten ist. Eigenständig lebt Schmidt noch heute in seiner Wohnung in der Kopernikusstraße, wuselt umher, um für Gäste Tee zu kochen und Kuchen aufzuschneiden. Er benutzt eine Hörhilfe, hat manchmal Kopfschmerzen, ist sonst aber bei beneidenswerter Gesundheit. Geordnet türmen sich die vielen Unterlagen zum Jubiläum; Gesuchtes findet er auf Anhieb.
Ein Mann, der in hohem Alter mit seinen Kindern und Enkeln, mit früheren Kollegen, Schülern und nicht zuletzt mit sich selbst in Einklang lebt? Herbert Schmidt bejaht diese Frage, auch wenn sein Leben kein Spaziergang war. Aus Patriotismus, wie man ihn damals verstand, wollte sich der Abiturient des Althoff-Gymnasiums 1939 freiwillig zur Wehrmacht melden, doch sein Vater bremste ihn. So konnte Herbert Schmidt in Frankfurt (Oder), danach in Berlin sein Lehrerstudium beginnen, ehe ihn 1940 die Einberufung zur Potsdamer Elitetruppe Infanterieregiment 9 (IR 9) erreichte. Bei minus 25 Grad, 35 Kilometer vor Moskau stehend wurde er zum ersten Mal verwundet, dann noch einmal an der italienischen Front und am Kriegsende in der Märkischen Schweiz. „Ich muss einen Schutzengel gehabt haben“, sagt er rückblickend, zumal ihm, ohne in Kriegsgefangenschaft zu geraten, die Rückkehr nach Babelsberg gelang. Hier meldete er sich als Neulehrer und erwarb in Kursen und zwei Fernstudien die Lehrberechtigung für die Oberstufe. Bis 1962 lehrte er in Babelsberg Chemie, Geographie und Biologie, nach Auflösung der dortigen Abiturstufe dann bis 1986 an der Helmholtz-Oberschule. Bei den Schülern hatte Herbert Schmidt einen guten Stand, galt er doch als fachkompetent und gutmütig. In die „Partei“ (SED) trat er nicht ein, erfüllte aber die Forderung nach „gesellschaftlicher Tätigkeit – er kümmerte sich als Gewerkschafter um die Vermittlung von Ferienplätzen für die Potsdamer Lehrerschaft. 1975 eckte er politisch an, weil er einen Besuchsantrag für seine in Westfalen lebende todkranke Mutter stellte. Dringend wurde ihm geraten, den Antrag zurückzuziehen. Auch zum Begräbnis der Mutter durfte der Sohn nicht fahren.
Lieblingsfach des Lehrers war die Geographie. Erst nach seiner Pensionierung hätte er sich mit dem Mauerfall den Wunsch erfüllen können, die von ihm im Unterricht behandelten Länder auch persönlich zu besuchen. Doch da erkrankte seine Ehefrau schwer. Elf Jahre hat Herbert Schmidt sie zu Hause gepflegt, weitere vier täglich im Heim besucht. Im Februar dieses Jahres ist sie verstorben.
So sind seine Reiseträume unerfüllt geblieben. Heute allerdings, zum 90. Geburtstag, kann der alte Lehrer Glückwünsche ehemaliger Schüler von weither erwarten. Zwei sind schon eingetroffen: einer aus Australien, der andere von einer Safari aus Südafrika.
Erhart Hohenstein
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