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Landeshauptstadt: Begehrt bei den Damen

Harry Harnisch und sein Seniorenservice: Der Frührentner kümmert sich sehr uneigennützig um alte Menschen

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Wenn er sie morgens nicht weckt, wird sie böse. Die Zigarette erst nach dem Essen? „Nein, vorher!“ Else Schmidt weiß, was sie will. Dabei hat die 85-Jährige erst vor zwei Monaten einen Schlaganfall erlitten und sollte eigentlich ins Pflegeheim kommen. Harry Harnischs Seniorenservice bewahrte sie davor. Nun putzt Harry Harnisch ihre Wohnung, wäscht, kauft ein, besucht sie im Krankenhaus, hilft beim Ausfüllen von Formularen und manchmal steht er auch in der Küche und kocht. Rund fünf Stunden verbringt er täglich bei Else Schmidt. Sogar in der Nacht schaut er mehrmals nach dem Rechten. „Sie ist zur Zeit mein schwerster Fall“, gibt Harnisch zu.

Seit einem Jahr existiert der Seniorenservice. Ähnliches gibt es nur eine Handvoll in Potsdam. Neben der Hilfe im Alltag vermittelt Harry Harnisch Dienstleistungen wie Häusliche Krankenpflege und Anschluss an ein Hausnotrufsystem. Den Großteil nimmt jedoch das Bemühen um das persönliche Wohlbefinden ein. „Mit einer Kundin sitze ich jeden Abend händchenhaltend vor dem Fernseher und wir schauen uns die Nachrichten an.“ Harnisch schätzt die Dankbarkeit der Alten und ist sich sicher: „Keiner nutzt mich aus.“

Bis ihm die Idee zum Seniorenservice kam, fuhr Harry Harnisch jahrelang bei der Volkssolidarität das Essen aus. Aktuell gehören zu seinem Kundenstamm fünf Frauen und drei Männer, alle wohnen Auf dem Kiewitt. Extra für sie nahm er sich auch eine Wohnung in der Nähe.

1987 diagnostizierten Ärzte bei Harry Harnisch einen Tumor im Kopf. „Ich weiß also, wie es ist, wenn man im Krankenhaus kaum Besuch erhält oder wenn man sich abends in seiner Wohnung unendlich einsam fühlt.“ Der Frührentner bietet seine Hilfe ehrenamtlich an, freut sich aber auch, wenn ihm ein Trinkgeld zugesteckt wird. Rund um die Uhr steht Harry Harnisch zur Verfügung. „Bevor der Arzt gerufen wird, rufen sie mich“, sagt er stolz.

So wird denn auch Harry''s Gute Nacht- Service gern in Anspruch genommen. „Ich bringe Sie ins Bett und bleibe bei Ihnen, bis Sie eingeschlafen sind“, verkündet der Werbeflyer. Auch wenn Harnisch selbst pro Nacht nicht mehr als drei Stunden Schlaf zur Verfügung stehen: Der 52-Jährige behauptet, noch Kapazitäten für weitere Kunden zu besitzen. Und das, obwohl der letzte Urlaub Jahre her ist. Harnisch: „Ich mache mir zu sehr Sorgen, ob meine große Familie gut versorgt ist.“ Soviel Uneigennützigkeit für fremde Menschen? „Klar, ich warte auf die Richtige mit der höchsten Witwenrente“, scherzt Harry Harnisch. Nein, er möchte seinen Kunden ein „Stück Lebensqualität zurückgeben“ und „Partner sein bei der Gestaltung des täglichen Lebens“. Außerdem lenke die Arbeit von seiner eigenen Krankheit ab. Harnischs Rezept: „Ich behandele sie nicht wie alte Leute. Dass sie alt sind, wissen sie allein.“ Der Umgangston ist daher offen und frisch.

Eifersucht untereinander? „Und wie. Komme ich mal eine halbe Stunde zu spät, werden die Damen verrückt“, sagt Harnisch. Er hätte heiraten können „ohne Ende“. Sein Lächeln zeigt, dass die vielen Liebeserklärungen ihm nicht missfallen. Als später sein Telefon läutet, will Else Schmidt genau wissen, wer der Anrufer ist. „Frau B. kann nämlich noch laufen“, flüstert sie leise. Noch 14 Jahre lang will Harry Harnisch seinen Seniorenservice weiterführen. Denn: „Mit 66 Jahren fängt das Leben an“, sagt er augenzwinkernd und denkt dabei vielleicht auch an seine Freundin, die er nur zum Frühstück sieht.

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