Homepage: Begeisterungsfähig
Zehn Jahre Universitätschor „Campus Cantabile“ / Eine Probe in der Mensa am Neuen Palais
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„Es geht nie um Musik“, sagt Kristian Commichau. Der Leiter des Universitätschors „Campus Cantabile“ lächelt versonnen. In der Mensa am Neuen Palais klappern Messer und Gabeln gegen die Teller. Zur Abendversorgung ist der Andrang nicht so groß wie in der Mittagszeit. Man lässt sich Zeit, bleibt noch ein wenig sitzen. „Musik ist Mittel zum Zweck“, fährt Commichau fort. Es ist Dienstag Abend, kurz vor sieben Uhr. Gleich trifft sich in der Mensa der Chor zur wöchentlichen Probe.
Nach und nach trudeln die Choristen ein. 115 Mitglieder zählt der Unichor.Esther-Kristin Lather ist die Jüngste von ihnen. Die 19-jährige Biowissenschaftsstudentin kam im Oktober 2005 von Pinneberg nach Potsdam. Neue Stadt, neuer Lebensabschnitt – sie habe auf der Homepage der Uni nach Freizeitangeboten gesucht und sei so auf den Chor gestoßen, erzählt sie. Gesungen hatte sie vorher nur in der Grundschule. Sie überredete eine Freundin, zur ersten Probe mitzukommen. „Da muss man ja vorsingen“, erklärt sie und erinnert sich an ihre Befürchtungen: „Kann ich das überhaupt?“ Heute lacht sie darüber: Vorsingen musste sie „nur“ in einer Gruppe und der Chor sei „gar nicht so bierernst“. Sie habe neue Freunde kennen gelernt. „Es ist cool und macht total Spaß.“
„Können Sie bitte die Tabletts zurückbringen, wir schließen jetzt!“, ermahnt die Mensa-Angestellte freundlich, aber bestimmt. Die Spülmaschinen laufen geräuschvoll auf Hochtouren, die Rollläden vor den Kassen sind heruntergelassen. Die Tische werden beiseite geräumt und los geht es mit der Erwärmung: Strecken, Gähnen, Kauen, Geläufigkeitsübungen für die Stimmbänder und zum Abschluss ein Kanon.
Singanfänger suchen den Weg zum Chor genauso wie Studenten, die vorher in anderen Chören gesungen haben. Nur Musikstudenten gibt es kaum. Den Chorleiter wundert das nicht, hätten die doch ihre eigenen Projekte. Am Unichor fasziniere ihn eines immer wieder neu: „die Begeisterungsfähigkeit“. 20 neue Leute kommen pro Semester, schätzt der Professor für Chor- und Ensembleleitung und vergleicht den Chor mit einem „Taubenschlag“. Er könne den Sängern und Sängerinnen beim Erwachsenwerden zuschauen, verrät er dann. Dabei habe er auch schon extreme Schicksale miterlebt: Einem Sänger, dessen Mutter verstorben war, riet er persönlich zum Weitermachen. „Musik kann sehr trösten“, weiß er.
Zehn Jahre gibt es den Unichor nun. Kristian Commichau kam im Herbst 1995 von Flensburg an die Universität Potsdam, um den Chor und ein Orchester zu gründen. Im April 1996 hatte das erste Projekt Premiere: Auf dem Programm stand damals Carl Orffs „Carmina Burana“. Seitdem kommt jährlich ein Stück zur Aufführung, zuletzt die Johannes-Passion von Bach. Ende November 2006 singt der Chor Mozarts Requiem und Musik von Henry Purcell. Eine Feier zum zehnten Jubiläum plant der Chorleiter nicht. Die Resonanz, dass der Chor so gut läuft, sei für ihn „Feier genug“.
Eine, die von Anfang an dabei war, ist Manuela Neels. Für die 32-Jährige ist der Unichor eine feste Größe im Leben geworden: „Ganz, ganz viele Freundschaften sind daraus entstanden“, sagt sie. Sie habe aber auch „ein anderes Gefühl für Musik“ bekommen.
Chor-Höhepunkte sind die Probewochenenden. Jedes Jahr geht es traditionell nach Petzow westlich von Potsdam, ins „Inselparadies“. Das morgendliche Bad im See, die Ferienlageratmosphäre, die Grillabende nach den Proben – „Das macht die Gemeinschaft aus“, findet Manuela Neels. Ihre Erfahrung: „Chor ist nichts Altbackenes, sondern etwas Modernes, was Spaß macht.“
Das liegt am Chorleiter, meint Manuela Neels und ist damit nicht alleine: In den Proben erhellt der Musikwissenschaftler die Geschichten hinter den gesungenen Werken und baut die Biografien der Komponisten zu unterhaltsamen Episoden aus. Der „trockene Humor“ und die „tolle Art, die Leute anzusprechen“ begeistern Enzo Schleuß, der erst seit März 2006 dabei ist und als Arzt eigentlich genug zu tun hat. „Total gut aufgehoben“ fühlt sich auch Doktorandin Anne Biewald nach drei Jahren beim Unichor.
„Ich will versuchen, Menschen glücklich zu machen“, erklärt Chorleiter Commichau seine Motivation. „In den Proben den Chor, in den Konzerten das Publikum.“ Man ahnt, dass das nicht so einfach ist, wie es klingt. Aber es scheint zu funktionieren. Manuela Neels jedenfalls blieb dem Chor nach dem Studium treu. Sie fühle sich weiter willkommen, sagt die Sozialpädagogin, die seit 2000 in der Jugendarbeit tätig ist. Momentan erwartet sie ihr erstes Kind. Zeit für das Singen will sie sich trotzdem nehmen.
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