Landeshauptstadt: Behindertenverband fordert mehr Absprachen
Zehn Jahre nach seiner Gründung will der Verband die Teilhabe Behinderter verbessern
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Viel Arbeit sieht der Potsdamer Behindertenverband vor sich. Vor genau zehn Jahren wurde er gegründet, um die Interessen und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in Potsdam zu bündeln. „Da gibt es noch viel zu tun“, sagt die Vorsitzende Selda Gültekin. Die Stadt sei für Behinderte nicht so lebenswert, wie sie sein sollte. Andernorts sei man da weiter. Selda Gültekin selbst ist sehbehindert und hat den direkten Vergleich – sie lebte bis Anfang 2010 im hessischen Darmstadt. Es sei teilweise unverständlich, dass die Kenntnisse von behinderten Betroffenen insbesondere bei öffentlichen Baumaßnahmen spät oder gar nicht in Anspruch genommen werden. „Dabei bieten wir das immer wieder an“, so die Vorsitzende. Dass die Betroffenen im Nachhinein nicht mehr viel Verständnis für unabsichtliche Fehler aufbringen, sei dann nicht überraschend. Ein Beispiel sei die beim Neubau zu klein geratene Behindertentoilette im Hans Otto Theater.
Der Behindertenverband hat in Potsdam etwa 45 Mitglieder und vertritt ihre Anliegen nicht nur gegenüber von Behörden, sondern organisiert auch Hilfe im Alltag. Regelmäßig trifft sich eine Selbsthilfegruppe. Beratungen für behinderte Menschen werden angeboten. Außerdem kann eine Begleitung für Behördenbesuche bereitgestellt werden. „Wo unser Wissen aufhört, versuchen wir den Kontakt zu Kooperationspartnern wie dem Rolliklub oder auch mit Hilfe in Not herzustellen“, so Selda Gültekin. Diese Zusammenarbeit soll fortgeführt werden. Für Anregungen und Vorschläge sei der Verband offen. Dabei ist der Verband unabhängig und steht keiner Partei nahe. „Das ist wichtig für unsere Glaubwürdigkeit“, so die Vorsitzende. Der Potsdamer Verband ist Mitglied im Allgemeinen Behindertenverband des Landes Brandenburg und arbeitet auch im Behindertenbeirat mit.
Ein wichtiges Thema bleibe es, die Teilhabe von Behinderten am öffentlichen Leben zu verbessern. Dazu sei die barrierefreie Erreichbarkeit von hoher Bedeutung. Dabei gibt es immer wieder auch Konflikte mit dem Denkmalschutz. „Wenn der Blindenstock in der Pflasterfuge stecken bleibt, hört das Verständnis auf“, sagte Gültekin. Denkmalschutz solle kein K.O.-Kriterium sein. In der Zukunft will sich der Behindertenverband lauter zu Wort melden.
Nicht nur der Zugang zu Behörden sei unerlässlich für die Teilhabe von Behinderten. Wege, die für nichtbehinderte Menschen selbstverständlich sind, werden für sie oft zu unlösbaren Herausforderungen. Zwei Beispiele seien der Zugang zu Arztpraxen und zur Gastronomie: „Für behinderte Potsdamer ist die Arztwahl praktisch eingeschränkt“, so Gültekin. Viele Praxen seien einfach nicht zugänglich. „Das sollte im Jahr 2011 eigentlich möglich sein. Hier ist das ein Riesenproblem.“ Um die Gastronomie sei es ähnlich bestellt: „Die Lokale, die in Potsdam barrierefrei zugänglich sind, kann man an einer Hand abzählen“, so Gültekin. Das Thema werde immer wieder an den Verband herangetragen. Auch Rollstuhlfahrer möchten abends mal ein Bier trinken, doch das falle oftmals aus. Außerdem sei es auch für behinderte Touristen ein Hindernis. Für diese gebe es spezielle Reiseanbieter, doch fehlten die Angebote in Potsdam.
In der kommenden Woche will sich der Behindertenverband in einer Vorstandssitzung auch mit neuen und alten baulichen Ärgernissen beschäftigen. Dazu gehören der Bahnhof Charlottenhof und die erneuerte Charlottenstraße mit ihren besonders hohen Bordsteinen. Doch zunächst soll heute im engeren Kreis gefeiert werden. Mitglieder und Gäste treffen sich zu Musik, Kaffee und Kuchen und blicken auf die letzten zehn Jahre zurück. „Natürlich werden wir auch darüber sprechen, was wir noch erreichen wollen“, sagte Gültekin. Marco Zschieck
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