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Sehsüchte I: Völkerverständigung, frische Luft und Tageslicht beim 36. Studentenfilmfestival

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Rund um das Thalia-Kino stehen die Zeichen auf Film. Im Fenster der Buchhandlung nebenan steht „Laterna magica“, ein Buch von Ingmar Bergman. Auf dem Bürgersteig sitzen Filmstudenten aus aller Welt in der Sonne. Sie ziehen das Licht des Tages der dunklen Kammer vor, in der die „magische Laterne“ leuchtet. Ein bisschen Paris in Babelsberg, durchaus passend für ein Filmfestival. Nur langsam füllt sich das Kino am Tag nach der Eröffnung des Festivals. Es mag an dem guten Wetter liegen, oder an der Eröffnungsparty in der Nacht zuvor. Dabei gab es für den pünktlichen Besucher am Mittwoch einiges zu entdecken. Und das sogar bei Tageslicht.

Erster Eindruck: Kameras. Nicht nur der allgegenwärtige Fotograf, blonde Mähne, zurückgehalten von der Sonnenbrille. Eine ganze Gruppe Asiaten sitzt schon um zwölf Uhr im Foyer und hantiert mit Kameras aller Größenordnungen. Es handelt sich um Studenten aus Peking, eingeladen von der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF). Sie studieren an der „Communication University of China“, der größten und ältesten Filmhochschule in China. Für 18 Tage sind 26 Studierende und zwei Dozenten nach Deutschland gekommen. Nicht nur um das Festival zu besuchen. Sie wollen auch zur Völkerverständigung beitragen, betonen sie in fließendem Englisch. Klischees werden auf dem „Sehsüchte“-Festival schnell abgebaut. „In China lernt man schon in der Grundschule Englisch“, sagt eine Studentin. „Study and tour“, umreißt sie das Programm der Gruppe in Deutschland.

So ist Dozentin Hui Wu aus dem Institut für Fernsehen der Pekinger Hochschule auch stolz auf ihre Studierenden. Und bietet sich zum Fachgespräch an. Der Trend zu digitalen Kameras ist auf dem Festival in aller Munde. Vielen gezeigten Filmen sieht man an, dass sie mit kleinen Handkameras gedreht wurden. „Fernsehen trifft Film“, sagt dazu Hui Wu. Die Konsequenz sei, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Es werde immer schwieriger, einen Dokumentar- von einem Spielfilm zu unterscheiden. Früher sei es um die Verbindung von Film und Text gegangen. Heute mischen sich die Filmgenres untereinander. So erfährt man, dass sich auch in China Wissenschaftler für die „Postmoderne“ begeistern. Jene Theorie also, bei der es gerade um das Vermischen von Genres und Erzählweisen geht. Und wie gefällt es Frau Wu in Potsdam? „Hier ist es so ruhig“, schwärmt sie. „So frische Luft!“ Kein Vergleich zu Peking.

Inzwischen hat sich eine andere Gruppe zu einer improvisierten Vorlesung versammelt. Auch sie wollten nicht im Dunkel des Kinosaals bleiben. Ingo Kock, Professor für Sounddesign an der HFF, übt sich ebenfalls in Völkerverständigung. Begeisterung für Technik kennt keine Grenzen. Vollautomatische Mischpulte, digitale und analoge Tonspuren, modernste Software: „Wir verwenden alle dieselbe Technik“, sagt Abijheet Deshpande, Filmstudent an dem „Film and Television Institute of India“. Abijheet Deshpande ist in Potsdam mit seinem Film „The Potato Eaters“ vertreten. „In dem Film geht es um die Verbindung zwischen Filmen und Essen“, raunt Deshpande während Ingo Kocks Vortrag. Er sei vor seinem Studium Hotelkoch gewesen. Wer aber die geheimnisvolle Verbindung zwischen Film und Essen verstehen wolle, der müsse sich den Beitrag am Freitag schon selbst ansehen.

Es lohnt sich auch, Prof. Kock zuzuhören. Er räumt inzwischen mit alten Missverständnissen auf. Der US-Film „The Jazz Singer“ von 1926 sei keineswegs der erste Tonfilm gewesen, wie allgemein angenommen. Schon im Jahr 1888 experimentierte der Hannoveraner Emil Berliner mit Grammophon und Film. 1894 erfand Thomas Alva Edison in den USA das „Kinetoskop“, eine ähnliche Konstruktion. Die Bewegung der Schallplatte musste mit dem Ablaufen der Filmrolle aufwändig synchronisiert werden. Ein Problem, das Soundtechniker bis heute beschäftigt. Freilich hatten diese ersten Konstruktionen einen gravierenden Nachteil: eine Schallplatte lief damals nur drei Minuten lang. Danach musste der Film vorbei sein. „The Jazz Singer“ lief dann mit einer speziellen Schallplatte. Sehr zum Leidwesen der Musiker, die zuvor die Stummfilme begleitet hatten. Innerhalb von zwei Jahren war ihre Branche verschwunden.

Die chinesischen Studenten sind inzwischen auch verschwunden. Genießen sie vor der Tür das schöne Wetter? Das Thalia-Kino hat sich für die 15 Uhr Vorstellung gefüllt. So kann man getrost wieder auf den Bürgersteig der Rudolf Breitscheid Straße treten. Und mit einem weiteren Missverständnis aufräumen, das die Besucher des Eröffnungsabends beschäftigt hat. Der so arg vermisste Döner-Imbiss ist mitnichten verschwunden. Er befindet sich jetzt nur drei Türen weiter, auf der anderen Seite des Kinos. Womit zum Umfeld des „Sehsüchte“-Festivals alles gesagt wäre. Alles Weitere im Kino.

Mark Minnes

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