WILLY SCHRADE: Bei Willy läuft’s anders
Willy Schrade ist fast 79 Jahre, joggt mehrmals in der Woche und hat seine so ganz eigene Meinung zum Laufen
Stand:
Herr Schrade, an Ihnen wird die Sporttextil-Industrie wenig Freude haben.
Wieso das?
Außer einer kurzen Hose, einer Weihnachtsmannmütze und ein paar Laufschuhen haben Sie nichts an beim Joggen. Selbst jetzt nicht, bei gerade null Grad. Ist Ihnen nicht kalt?
Nein, überhaupt nicht. Ich laufe auch bei Minusgraden mit freiem Oberkörper. Wer beim Joggen kalte Füße bekommt, der hat vergessen, Socken und Schuhe anzuziehen. Und mehr braucht man nicht. Das Einzige, was bei Kälte gefährdet ist, ist die Penisspitze. Ansonsten wird man nicht krank, wenn man bei Kälte joggt.
Sind Sie mal Shirt gelaufen?
Ja klar, früher bin ich in einem Sommer sogar mit Anorak gelaufen, weil ich abnehmen und schwitzen wollte. Dann habe ich mal meine Körperhauttemperatur gemessen, die lag bei 40 Grad. Da hab ich alles ausgezogen, bin mit freiem Oberkörper gelaufen und hab beschlossen, das mal einen Winter durch zu machen.
Wollen Sie auffallen - also so mit roter Mütze und nacktem Bauch?
Wenn ich laufe schon. Ich war ja schließlich Schauspieler und bin gewöhnt, vor Publikum zu stehen. Jetzt, zur Weihnachtszeit, macht es Spaß mit einer roten Mütze die Straße langzulaufen und die Leute zu erfreuen.
Aber Sie spielen beim Laufen ja keine Rolle, sondern machen das für sich, oder?
Klar laufe ich für mich allein. Das ist was Wunderschönes. Ich habe lange Volleyball gespielt, aber ich finde, man kann in einem Mannschaftssport nur eingeschränkt etwas mit Willenskraft erreichen, wenn die anderen nicht mitziehen. Mit Willenskraft kannst du eigentlich nur etwas schaffen, wenn es um Ausdauer geht. Wenn du denkst, du stirbst, und du machst einfach weiter.
Woran denken Sie beim Laufen?
Die Gedanken kommen ja von allein. Und dann überlege ich mir Formulierungen: Was würde ich sagen, wenn das oder jenes käme? Außerdem ist Laufen gut fürs Gehirn: Ich hab immer Angst, ich kriege Alzheimer; das ist ja jetzt modern. Deshalb rechne ich sehr viel beim Laufen. Also langweilig wird mir nicht.
Seit wann laufen Sie denn?
Das kann ich so genau nicht sagen. Ich habe den Sportfimmel in mir. Ich wollte mich immer bewegen. Ich kann mich erinnern, dass ich als Junge in Golzow frühmorgens aufgestanden und barfuß zur Plane gelaufen und die runtergeschwommen bin und wieder zurück. Zu Oberschulzeiten habe ich mir im Wald eine Weitsprunggrube gebuddelt. Der Bewegungsdrang liegt mir in den Genen. Genauso wie das Gefühl, gewinnen zu wollen.
Waren Sie denn ein Wettkämpfer?
Ja, natürlich! Ich bin 6,34 Meter weit gesprungen und 1,72 Meter hoch. Ich war relativ gut und wollte zur Sportschule, doch dann bin ich an Tuberkulose erkrankt. Ich hatte im Sport-Abi eine Eins, obwohl ich damals durch die Erkrankung nur eine halbe Lunge und absolutes Sportverbot hatte.
Sind Sie schon mal einen Marathon gelaufen?
Als Wettkampf nicht. Weil ja die Bedingungen des Deutschen Leichtathletikverbandes verbieten, dass man mit freiem Oberkörper läuft. Ich wollte mal beim Humboldtlauf mitmachen, was ohne Bekleidung nicht ging. Beim Berlin-Marathon haben sie mich auch abgelehnt. Da kannste als Asterix laufen oder als Liftaßsäule, das ist alles okay. Aber mit freiem Oberkörper nicht.
Wo wollen Sie denn Ihre Startnummer anbringen?
An der Hose. Das ist ja nun das Einfachste, das machen Triathleten ja auch.
Wie oft laufen Sie heute noch in der Woche?
Viermal. An Tagen, an denen ich nicht im Fitnessstudio bin.
Und wie lange laufen Sie?
Um eine Stunde. Nach einer halben Stunde drehen ich um und laufe zurück. Und nachdem ich in meinem Leben insgesamt dreimal um die Erde gelaufen bin, mach ich das nur noch gemütlich.
Waren Sie mal verletzt?
Ich habe mir zweimal Arthrosen aus den Knien gelaufen. Die Ärzte bieten mir schon gar nicht mehr an zu operieren. Von den Menisken muckt der eine noch rum, aber dann muss man eben viel ins Wasser und schwimmen.
Sie meinen, Schmerzen laufen sich weg mit der Zeit?
Das meine ich nicht, das weiß ich. Hundertprozentig, weil ich es gemacht habe. Ich habe gut zwei Jahre mit unheimlichen Knieschmerzen gelebt. Da konnte ich fünf bis zehn Meter laufen und dann war Schluss. Ich hab es aber immer wieder gemacht und dann wurden die Strecken immer länger und irgendwann waren die Schmerzen weg. Ich bin aber auch viel Rad gefahren, weil mein Arzt gesagt hat, ich soll mich bewegen, ohne zu belasten. Da hab ich mir ein Elektrorad gekauft und bin einen Winter 10 000 Kilometer geradelt. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass das Knie gar nicht mehr weh tut. Da war mein Orthopäde baff und hat gemeint, bei mir sei sowieso alles anders. Später habe ich dann in einer Wissenschaftsbeilage gelesen, dass stark abgenutzte Gelenke, wenn man sie weiter beansprucht, nach einer bestimmten Zeit selbstständig Reparaturzellen bilden, die eine neue Knorpelmasse bilden. Und als das andere Knie dann anfing, habe ich gesagt: „Na, mach mal!“ Und da hat es bloß noch ein halbes Jahr gedauert, bis die Schmerzen weg waren.
Also mit einem starken Willen kann man Schmerzen austricksen?
Das ist alles Kopfsache. Gesund werden, spielt sich im Kopf ab und hängt mit dem Bewusstsein zusammen, nicht aufzugeben. Ich bin aber auch von einem anderen Schlag. Ich bin ein Kriegskind, mit Hunger groß geworden und viel zäher. Ich war nach einem Bombenangriff in Königsberg in einem Keller zwei Tage verschüttet. Da bin ich abgebrüht und eiskalt worden.
Als was sehen Sie Ihren Körper?
Man muss den Körper als einen Hund betrachten, der einen bescheißen will. Heute ist der Körper so geeicht, dass er Hunger meldet, obwohl er gar keinen hat. Um satt zu werden, mussten früher die Menschen tagelang rennen, sammeln und kämpfen. Mach das mal: Laufe mal los, wenn du richtig Hunger hast und dein Körper wird nach ein paar Minuten sagen: Oh, auf auf zum fröhlichen Jagen. Du wirst mit einer Leichtigkeit laufen und der Hunger ist total vergessen.
Achten Sie auf Ihre Ernährung?
Überhaupt nicht. Eigentlich reicht es, wenn man als Erwachsener einmal am Tag isst. Man kriegt keinen Hunger mehr, denn der Körper stellt sich darauf ein. Aber ich esse ja nicht nur, um satt zu werden, sondern auch weil es schmeckt und ich gerne koche. Ich habe jetzt zur Adventszeit schon drei bunte Teller gegessen, die sind schon weg. Ich kriege aber wieder welche.
Ich vermute mal, dass sie kein großer Obst- esser sind, oder?
Ich habe mal eine Zeit lang gar kein Obst gegessen. Aber ich esse Obst, es ist eine schöne Form, den Durst zu stillen. Und nie waschen. Das stärkt das Immunsystem.
Es stört auch nicht, wenn das Obst behandelt wurde?
Nein. Das ist auch nur Kopfsache. Ich wasche niemals Obst, weil ich das Immunsystem trainiere. Und mein Immunsystem ist mopsfidel. Ich sage ja auch, dass Wellness das Schlimmste ist, was man einem Körper antun kann, Dann macht der nämlich gar nichts mehr.
Viele Läufer schauen heute nur noch auf die Pulsuhr, um zu meinen, dass sie richtig trainieren. Woran merken Sie denn, ob Ihnen ein Lauf leichtfällt oder ob er anstrengt?
Ich habe eine Zeitlang meinen Puls gemessen: Bin stehen geblieben, habe 15 Sekunden auf den Zeiger der Uhr geguckt und gezählt. Aber Pulsuhren, um Gottes Willen! Wenn ich das sehe, mit den ganzen Strippen, die die um den Bauch haben. Wenn ich meine Stunde laufen gehe und ich mich wohlfühle, dann laufe ich eben schneller. Man merkt ja, wenn man die gleiche Strecke läuft, ob man eher an einer bestimmten Stelle ist. Und dann laufe ich eben so gut es geht oder bis ich nicht mehr kann. Und solange ein Wille ist, kann man rennen.
Das Gespräch führte Peter Könnicke
Willy Schrade wurde 1935 in Königsberg geboren. Bekannt ist der Babelsberger als Schauspieler – fast 350 Rollen schmücken seine Film- und Theaterkarriere.
Zudem ist Willy Schrade leidenschaftlicher Läufer – und wahrscheinlich das komplette Gegenbild dessen, was Magazine, Ratgeber und Experten regelmäßig vermitteln. Eine Zwiebelhaut hat für ihn ausschließlich mit Gemüse und nichts mehr mehrlagigen Textilschichten zu tun. Carboloading ist ihm genauso fremd wie ein Laufshirt, Schmerzen sind da, um sie wegzulaufen.
Willy Schrade läuft, wie’s eben geht: mal schnell, mal langsam, meist mit leerem Magen und immer halbnackt und zur Weihnachtszeit mit einer roten Zipfelmütze. Immer durch Babelsberg, über die Glienicker Brücke und ein Stück durch Potsdam und zurück.
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