Landeshauptstadt: Bescheidenheit ja – aber keinen Murks
Potsdams Image im Land hat gelitten, doch das Tempo der Stadtentwicklung bleibt rasant
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„Etwas mehr Demut“ hat der Brandenburger Finanzminister Rainer Speer – seines Zeichens auch Potsdamer SPD-Chef – der Landeshauptstadt empfohlen. Das war Ende November und die städtischen Verantwortlichen noch guter Hoffnung, sich ein nächstes Glanzstück in die Stadt setzen zu dürfen. Doch ob das von dem brasilianischen Stararchitekten Oscar Niemeyer entworfene Freizeitbad am Fuße des Brauhausberges entstehen kann, ist inzwischen mehr als fraglich geworden.
Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns hat Potsdam einen Denkzettel verpasst. Das Land sei nicht bereit, über die Förderung des Funktionalbaus Freizeitbad hinaus mit Landesgeldern Stadtentwicklung zu bezahlen, so die Argumentation. Auch wird angezweifelt, ob die Stadt in der Lage sein wird, nach dem Bau Betriebskosten und Verpflichtungen aus Krediten finanziell zu stemmen. Die Stadtverwaltung muss nun Alternativvarianten für Bau und Standort prüfen, um noch eine Chance auf Verwirklichung der ehrgeizigen Pläne zu haben.
So klingt das Jahr 2005 in der Landeshauptstadt mit einer kräftigen Missstimmung aus. Dennoch waren die zurück liegenden zwölf Monate wiederum erfolgreich für Potsdam. Das Tempo bei der Stadtentwicklung bleibt rasant. Die Stadt ist zudem immer wieder neu im Glück: Im März wurde die Eröffnung des Karstadt-Stadtpalais in der Brandenburger Straße als wichtiger Impulsgeber für die Innenstadtentwicklung gefeiert. Und das zu einer Zeit, da Karstadt in einer tiefen Krise steckte, sich einen rigorosen Sparkurs verordnete. Trotz Sparzwang und maroder Finanzen ringt sich nur Wochen später der Landtag durch, den neuen Parlamentssitz doch auf dem Alten Markt zu errichten – in der Kubatur des früheren Stadtschlosses. Dritter Glücksumstand: Das Fest der deutschen Einheit fand 2005 in Potsdam statt. Der Termindruck setzte Energien frei: Der Alte Markt wurde eilig neu gepflastert und die Platzsituation den Planungen der Zukunft angepasst.
Pulsierendes, wachsendes Potsdam: Karstadt, Theaterbaustelle, Baubeginn für das Zentrum für Kunst und Soziokultur in der Schiffbauergasse, Eröffnung des studentischen Kulturzentrums KUZE in den Elfleinhöfen. Nicht zu vergessen das Richtfest für die Garnisonkirche. Viele Potsdamer sehen ihre Träume langsam Wirklichkeit werden: Mit dem Landtags-Stadtschloss wird einer der einst schönsten Plätze Europas wieder Gestalt annehmen, ein Stück weiter nur kann der markante Turm der Garnisonkirche, einst ein Wahrzeichen der Stadt, in die Höhe wachsen. Allerdings: Rund 65 Millionen Euro müssen aufgebracht werden, aus privaten Spenden. Eine Mammutaufgabe.
Da haben es andere Projekte in Potsdam besser. Denn es fließt viel Landesgeld in städtische Entwicklung. 30 Millionen Euro für die Baufeldfreimachung im Bereich Alter Markt. Mindestens 120 Millionen Euro dürfte der neue Landtag kosten. Wenn im kommenden Jahr das Theater eingeweiht wird, sind die Kosten in Höhe von 26,5 Millionen Euro für den Neubau mit der Muschelarchitektur auch zum übergroßen Teil vom Land finanziert. Und auch die Neubaugebiete wurden bedacht: 14 Millionen Euro Fördergelder flossen von 1999 bis 2004 in die Plattenwohnungen und das Wohnumfeld.
Doch waren es nicht diese Fördermaßnahmen, die die Stimmung im Land kippen ließen. Die pompöse Präsentation des Niemeyer-Bades im Nikolaisaal, der Schock über die zunächst veranschlagten Baukosten in Höhe von 48 Millionen Euro verbunden mit der Forderung nach 80-prozentiger Förderung, lenkte die Aufmerksamkeit endgültig auf eine maßlos wirkende Stadt, schuf Neid, Unverständnis und Verärgerung,. Junghanns griff diese Stimmung auf, indem er selbst einer abgespeckten Niemeyer-Variante, die „nur“ noch 33 Millionen Euro kosten soll, die Förderfähigkeit verweigerte.
Doch der Minister hat nicht nur den spektakulären Architekturentwurf mit den Niemeyer-Kuppeln vor Augen. Bislang gibt es keine Sicherheit dafür, dass das Bad wirtschaftlich arbeiten kann. Dabei hat Potsdam noch weitere finanzielle Nachwehen großer Investitionen zu bewältigen. Das Theater, die anderen Kultureinrichtungen in der Schiffbauergasse und die an die Stadt zurück gefallene Biosphäre müssen bewirtschaftet werden. Kein Wunder, dass Potsdam eine Änderung bei der Verwendung der Hauptstadtmittel fordert: Statt in Investitionen, soll das Geld in den laufenden Betrieb städtischer Einrichtungen fließen. Doch dagegen sperrt sich die Landesregierung.
Mit gutem Grund: Potsdam boomt zwar, läuft aber Gefahr sich zu übernehmen. Denn die Folgewirkungen, sprich die Folgekosten von Investitionen sollten nicht außer Acht gelassen werden. Zumal die Landeshauptstadt wegen des Schuldenberges bereits unter eingeschränktem Haushaltsrecht steht. Und es warten noch dicke Brocken: das RAW-Gelände, die Brachen am Hauptbahnhof und die Speicherstadt verlangen nach Entwicklung.
Doch bei aller Forderung nach Bescheidenheit – Potsdam sollte dennoch darauf achten, bei der Stadtentwicklung keinen Murks, keine Beliebigkeit zuzulassen. Diese Stadt hat immer etwas Besonderes verdient. Weil sie in besonderem Maße ausstrahlt – nicht umsonst wurde Potsdam als einzige Stadt im Osten zum Quartier einer Teilnehmermannschaft der Fußball-WM auserkoren. Trotz mancher Misstöne: Das Glück, es scheint Potsdam – trotz nicht gerade souveräner Stadtführung – treu zu bleiben. Auch 2006. Vielleicht doch noch mit einem Niemeyer?
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