Homepage: Beseelter Abschied
Professor Julius H. Schoeps dachte in seiner Abschiedsvorlesung über die Unwägbarkeiten des deutsch-jüdischen Erbes nach
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Der kleine Hörsaal 9 am Neuen Palais ist bis auf den letzten Platz besetzt. Jung und alt trifft sich, ehemalige Gründer der Potsdamer Hochschullandschaft und ganz junge Studierende, hier wird Amerikanisch gesprochen, dort Russisch. Schick und geradezu strahlend steht Professor Julius H. Schoeps in der Tür und lädt seine Zuhörer ein, das weiße Hemd lässig offen, die Lesebrille locker um den Hals. Es wird seine letzte Vorlesung an der Universität Potsdam sein, sein Abschied, denn der nun 65-jährige Historiker, der die Jüdischen Studien an der Uni mit begründete, geht in den Ruhestand. Zumindest was seine Lehrtätigkeit an der Uni betrifft, denn als Direktor des Moses Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien bleibt er Potsdam erhalten.
Wie man ihn kennt, kommt Schoeps ohne lange Umschweife direkt zu seinem Thema: dem deutsch-jüdischen Erbe. Sicherlich eines der schwierigsten Themen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hatten sich die Juden vor der NS-Zeit doch nicht als Juden in Deutschland sondern als deutsche Juden begriffen. Sie bekannten sich zu ihrer jüdischen Herkunft, sprachen und dachten deutsch und unterschieden sich nicht wesentlich von der übrige Gesellschaft. Doch das, was heute noch gerne als deutsch-jüdische Symbiose bezeichnet wird, war nach dem organisierten Judenmord der Deutschen unwiderruflich verloren. Nach dem Holocaust wurde die Emanzipation der deutschen Juden von jüdischer Seite dann oft auch als Irrweg bezeichnet, eine Geschichtsepoche, die endgültig vorbei sei. Die pessimistischen Prophezeiungen haben sich allerdings, wie Schoeps sichtlich gerne betont, nicht erfüllt. Tatsächlich ließen sich im Nachkriegsdeutschland wieder Juden nieder, Überlebende der Lager, Remigranten und Gestrandete. Doch waren sie nur noch so etwas wie ein Nachhall des deutschen Judentums der Vorkriegszeit. „Ein authentisches deutsches Judentum existiert in Deutschland nicht mehr“, stellt Schoeps klar. Dieses Judentum, das sich auf Aufklärer wie Moses Mendelssohn, auf Schriftsteller wie Heinrich Heine und Musiker wie Felix Mendelssohn Bartholdy berief, sei mit der Hitler-Diktatur und der Shoah so gut wie vollständig ausgelöscht worden. Und wenn es heute in Deutschland die weltweit am schnellsten wachsende jüdische Gemeinde gibt, dann besteht sie zum überwiegenden Teil aus osteuropäischen Einwanderern, denen Dostojewski und Gogol näher sind als Goethe und Schiller. Dieser östliche Einfluss, so Schoeps, gebe in den Gemeinden nun den Ton an. Ein Problem vor allem für die Alteingesessenen deutschen Juden, die sich nun in der eigenen Synagoge fremd fühlten. Ein neues deutsches Judentum, so Schoeps, werde nun am Horizont sichtbar. Welche Gestalt es haben wird, könne man heute noch nicht sagen. „Fest steht nur, dass es seine geistig-kulturellen Wurzeln nicht in Deutschland sondern in Osteuropa haben wird.“
An der deutschen Nachkriegsgesellschaft gingen, und das ist einer der zentralen Punkte in Schoeps“ Analyse, diese Umbrüche weitgehend unbemerkt vorüber. „Oder man wollte sie nicht bemerken“, so der Historiker. Vielmehr sieht er die vergangenen Jahre als Zeichen eines nach wie vor zutiefst gestörten deutsche-jüdischen Verhältnisses. Meist würden deutsche und Juden aneinander vorbei reden, bei den ritualisierten Gedenkveranstaltungen zum Novemberpogrom etwa würden die Juden trauern, während die Deutschen an „Phantomschmerzen“ litten.
Ein Verhältnis, das durchaus auch ins Groteske zu kippen neigt. Etwa dann, wenn zahlreiche Studiengänge zum Judentum eröffnet werden, an denen nicht wie vor 1933 Juden sondern vor allem Nichtjuden studieren und lehren. Nicht selten sei hier das Phänomen zu beobachten, dass man sich zum Judentum bekennt, ja sogar zum jüdischen Glauben übertritt. Als Motivation vermutet Schoeps zumeist ein tief sitzendes Schuldgefühl, den Wunsch etwas gut zu machen. Die Konvertiten würden sich dann oft gesetzestreuer gebärden als orthodoxe Juden. Diese Überidentifikation trage zuweilen krankhafte Züge, etwa in dem Fall einer Kölner Studentin, die 1984 ihren nicht-jüdischen Dozenten erschoss. Sie habe es offensichtlich als Konvertierte nicht ertragen, dass ein Christ über das Judentum lehre. Anormal sei das deutsch-jüdische Verhältnis heute vor allem, weil sich die nichtjüdische Gesellschaft ein geradezu folkloristisches Judenbild irgendwo zwischen jiddischem Fiedler und Kaftan-Juden konstruiert habe.
Um so wichtiger sei es daher, die Reste des deutsch-jüdischen Erbes, des emanzipierten deutschen Judentum der Vorkriegszeit, zu bewahren. „Das hängt sicher auch davon ab, ob die Nichtjuden bereit sind, dieses Erbe anzunehmen“, so Schoeps. Und am Ende bleibt er sich als ewiger Mahner treu. „Manchmal ist es besser, nicht alles zu sagen, was zu sagen wäre.“ Es folgen Standing Ovations und ein geradezu beseelter Empfang im Angesicht des sonnigen Neuen Palais“.
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