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Etwas HELLA: Besser vielleicht Karten legen

Jeder Kapitän muss wissen, wohin er sein Schiff steuert. Sonst kommt er womöglich ganz woanders an, als er eigentlich wollte.

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Jeder Kapitän muss wissen, wohin er sein Schiff steuert. Sonst kommt er womöglich ganz woanders an, als er eigentlich wollte. Und auch Potsdam war überaus gut beraten, ein Leitbild für seine zukünftige Entwicklung aufzustellen. Nun haben ja Wörter mit Leit- so ihre Tücken, ich denke da nur an die viel zitierte Leitkultur Deutschlands, die den Kabarettisten viel Stoff für Gags liefert und von der nur hundertprozentig sicher ist, dass sie aus Schweinefleischessen und Karnevalfeiern besteht. Doch ein städtisches Leidbild – oh pardon, ich entschuldige mich für die freudsche Fehlleistung beim Schreiben –, also ein städtisches Leitbild ist natürlich viel leichter zu erstellen. Und deshalb sind auch alle so zufrieden mit dem, was nach zwei Jahren Leitbildsuche herausgekommen ist.

Die 23 Thesen werden jetzt – ich nehme mal an wegen des bevorstehenden Lutherjahres – an die Tür der Nikolaikirche genagelt. Denn die Garnisonkirche hat noch keine. Tür, meine ich. Also weder eine Tür noch einen Turm. Da es aber für die Kirche schon ein heftig verändertes modernes Leitbild und die Ansage gibt, nur den Turm wieder in historisch getreuer Form aufzubauen, geht es garantiert übermorgen los mit dem Stein-auf-Stein. Und dann haben sich auch noch die beiden größeren jüdischen Gemeinden über ihre Synagoge geeinigt. Wer hätte das gedacht. Mein ganz persönliches Leidbild hatte mir eigentlich suggeriert, dass die das nie schaffen. Aber so ist das mit dem Blick in die Zukunft. Meistens kommt es anders, als man denkt. Trotzdem: Ein Leitbild ist wichtig und nichts braucht Potsdam nötiger als gerade dieses. Denn so ein Dampfer, eingezwängt auch noch zwischen Havel und deren Seen, kommt womöglich schnell in zu flaches Wasser und hat dann mehr Kinder mit Krippenplätzen und Schulen zu versorgen, als in weiser Voraussicht vorausgeplant war.

Doch wer würde sich davon bange machen lassen. Das diskutierfreudige Potsdam jedenfalls nicht. Deshalb sind auch alle so zufrieden mit dem Leitbild. Die CDU hat gleich ein eigenes gemacht, weil das erarbeitete unter anderem die wirtschaftliche Entwicklung nicht ausreichend berücksichtigt, die Grünen bemängeln, dass die Wissenschaft nicht genug vernetzt wird und weil vom Klimaschutz zu wenig die Rede ist. Und die Linke als Opposition findet das Leitbild Wischiwaschi. Leider hat sich die AfD noch nicht dazu geäußert, dass Potsdams einzige Moschee viel zu klein ist und dass sie sich die ansehnlicher und größer wünscht, damit sie sich richtig darüber aufregen kann.

Ich möchte ja nicht unwissenschaftlich klingen, aber vielleicht sollte man sich zur Leitbildverbesserung erst mal von einer Wahrsagerin die Karten legen lassen. Die weiß bestimmt besser, wo es langgeht in den nächsten ein- bis zweihundert Jahren.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.

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