Landeshauptstadt: Beute am Klebestreifen
Die Manipulationen an Geldautomaten in Potsdam nehmen zu – die Banken wollen jetzt nachrüsten
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Wenn Michael Schmidt Geld vom Automaten abhebt, kann das eine Weile dauern. Er schaut in alle vier Himmelsrichtungen, nach oben und unten, rüttelt an sämtlichen Teilen des Automaten, bevor er seine Karte reinsteckt. „Ich leide durchaus etwas unter Verfolgungswahn“, sagt der Kriminaloberkommissar, in dessen Zuständigkeit auch die Bearbeitung sogenannter Cash-Trapping-Vorgänge fällt.
Cash Trapping bezeichnet den Versuch, den Bankautomaten derart zu manipulieren, dass ausgegebene Geldscheine an einem vormontierten Klebestreifen hängenbleiben und von dem Täter anschließend kassiert werden. Das relativ simple Verfahren wird gern und immer wieder angewandt und führt oft genug zu Erfolg. In Potsdam häufen sich in den letzten Monaten die Vorfälle, genaue Zahlen will Schmidt aber nicht nennen. Die Zunahme könnte daran liegen, dass viele Banken in Berlin ihre Automaten nachrüsten und die Täterwelle herüberschwappt.
Es ärgert ihn deshalb, dass die Aufklärung manchmal durch zeitraubende bürokratische Abläufe und detaillierte Datenschutzbestimmungen verzögert wird. Denn wenn schnell und kooperativ gearbeitet wird, Videoaufnahmen – Schmidt: „Wir haben manchmal tolle Bilder!“ – bundesweit mit denen anderer Tatorte umgehend abgeglichen werden, steigt die Aufklärungsquote. „Die Täter agieren überall, von München bis Hamburg“, so der Kommissar.
Während andernorts Cash Trapping als schwerer Diebstahl angesehen wird, sei man in Potsdam mit der Staatsanwaltschaft uneins darüber, wie diese Vorfälle einzuordnen seien. Ein als einfacher Diebstahl eingestuftes Delikt, „weil niemand körperlich zu Schaden gekommen ist und nichts beschädigt wurde“, ziehe im Falle einer Verurteilung in der Regel ein geringeres Strafmaß nach sich als ein schwerer Diebstahl. Doch die zielgerichtete Vorgehensweise der Täter lasse durchaus auf eine ordentliche Portion kriminelle Energie schließen, findet Schmidt.
In Potsdam werden besonders Banken in Bahnhofsnähe bevorzugt. Dort falle es nicht auf, wenn jemand eine Weile untätig herumsteht, außerdem sei der Fluchtweg bequem – die Täter kommen und gehen vermutlich mit S-Bahn.
Diese Erfahrung machte auch Tommi Dietzel, Geschäftsstellenleiter der Sparda-Bank am Hauptbahnhof und außerdem für die Filiale am Babelsberger S-Bahnhof verantwortlich.
Die Täter, meist jüngere Männer, die dem Äußeren nach dem südöstlichen europäischen Ausland zuzuordnen seien, agieren einzeln oder zu zweit. Meist passiert es in den frühen Morgenstunden, abends oder nachts, an Wochenenden oder Feiertagen. Vor den Geldausgabeschlitz wird eine graue Blende, ähnlich einer Teppich-Leiste geklebt, an deren Rückseite sich doppelseitiges Klebeband befindet. Dort bleiben ein oder mehrere Geldscheine hängen, ohne dass der Kunde etwas davon sieht. Wird Restgeld vom Automaten nach wenigen Sekunden eingezogen, erscheint der Hinweis auf einen „technischen Defekt“. Alles weitere hängt in hohem Maße vom Verhalten des Kunden ab.
Oberstes Gebot: Man sollte sich nicht vom Automaten entfernen, dann kann sich auch niemand das Geld nehmen. Meist beobachten die Täter den Vorgang aus unmittelbarer Nähe und verschwinden, sobald es brenzlig wird. Vorfälle von Gewalt sind in diesem Zusammenhang nicht bekannt, kann Schmidt beruhigen.
Außerdem sollten Betroffene umgehend die Hotline der Bank – oft direkt am Automaten zu finden – und die Polizei anrufen. Die Notrufnummer 110 sei stets kostenfrei, falsche Scham nicht angebracht: Jeder Fall ist wichtig, auch wenn kein Täter mehr vor Ort ist. Stets hilfreich sei eine Beschreibung mutmaßlicher Täter oder Personen, die einem verdächtig vorkamen. Auf Verfolgungsjagd solle aber niemand gehen, so Schmidt.
Letztlich sollten die Kunden die Blenden nicht eigenmächtig oder nur, wenn am Rand angefasst wird, entfernen. „Das ist kostbares Beweismaterial, die Täter-DNA, vielleicht kleinste Hautschüppchen auf dem Klebestreifen, ist für uns wichtig“, sagt Schmidt, der schon erlebt hat, dass Geschädigte Tage später mit den Plastikteilen in der Manteltasche zur Polizei kamen.
Die Sparda-Bank indes appelliert an die Aufmerksamkeit der Kunden. „Mal mit dem Fingernagel testen, ob alles fest ist, da kann nichts kaputtgehen“, sagt Geschäftsstellenleiter Dietzel. Demnächst sollen die Automaten nachgerüstet werden. Dann wird eine zusätzliche Blende vor den Ausgabeschlitz montiert, die eine Manipulation verhindern soll. „In Berlin funktioniert das bereits“, heißt es.
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