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Zum Tode der Professorin Dorothea Goetz / Ein Leben mit tiefer humanistischer Geisteshaltung
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Am 30. Januar diese Jahres, wenige Stunden nach dem Besuch des Mozartkonzerts im Nikolaisaal, starb Frau Prof. Dr. Dorothea Goetz in ihrem Haus in Potsdam-Bornstedt. Für alle, die sie kannten, bleibt es ein kleiner Trost, dass ihr Leben mit der Musik des von ihr hochverehrten Komponisten ausklang. Musik und Poesie waren zwei Konstanten im Leben dieser bewundernswerten Frau, die an die eigene Lebensführung die strengsten Maßstäbe legte, den Menschen aber, die in ihr Leben traten, stets mit Güte, Verständnis und einer nahezu grenzenlosen Hilfsbereitschaft begegnete.
Am Ende ihres fast 81-jährigen Lebens hätte sie voller Stolz auf ihre Leistungen als Wissenschaftlerin und Hochschullehrerin zurückblicken können, wenn Stolz eine wichtige Charaktereigenschaft für sie gewesen wäre. Er war es nicht. Viel eher wird man ihrer Persönlichkeit mit dem Begriff Würde gerecht, einer warmherzigen Würde, die auf einer tiefen humanistischen Geisteshaltung beruhte. Einer empfindsamen Würde, die sich jedem Menschen mitteilte, der mit ihr in Berührung trat.
Dorothea Goetz wurde am 14. Februar 1925 in Potsdam geboren. Fleiß, Beharrlichkeit, Disziplin, aber auch Höflichkeit, Verständnis und Hilfsbereitschaft und viele andere Tugenden des guten Benehmens galten ihren Eltern und Großeltern viel. Es waren Eigenschaften, die sie bereits als junger Mensch verinnerlichte und an denen sie trotz des Zeitenwandels festhielt. Im Kriegsjahr 1943 legte sie in Potsdam das Abitur ab und begann ein naturwissenschaftliches Studium in Berlin, das sie aber, kriegsdienstverpflichtet unterbrechen musste. Die entbehrungsreichen Jahre hinterließen ihre Spuren. Aus gesundheitlichen Gründen war nach dem Krieg an die Wiederaufnahme eines naturwissenschaftlichen Studiums (Chemie) nicht zu denken. Die Vielseitigkeit ihrer geistigen Interessen ließ sie aus der Not eine Tugend machen. Wenn schon nicht Naturwissenschaft, dann sollte es die „Mutter aller Wissenschaften“, die Philosophie, sein. Sie studierte dieses Fach zuerst in Berlin, dann in Leipzig. Bereits vor Abschluss des Studiums wurde sie Redakteurin bei den Verlagen „Volk und Wissen“ und „Neues Leben“ . 1953, ein Jahr vor dem Diplom, das sie extern an der Humboldt-Universität ablegte, trat sie in den Beruf ein, in dem ihre Persönlichkeit am besten wirken konnte. Sie wurde wissenschaftliche Assistentin am Institut für Gesellschaftswissenschaften der Pädagogischen Hochschule Potsdam (PHP). Damit begann eine beeindruckende Karriere als Hochschullehrerin und Wissenschaftlerin. Schnell stieg sie zur wissenschaftlichen Oberassistentin und Leiterin der Abteilung Philosophie des Instituts auf.
1963 promovierte sie mit einer viel beachteten Dissertation über Georg Chr. Lichtenberg. 1969 erfolgte ihre Berufung zur ordentlichen Professorin für Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften an der PHP. Im gleichen Jahr wurde ihr auch das Prorektorat für Gesellschaftswissenschaften übertragen. Die Dissertation B legte sie 1974 mit einer Arbeit zur Rolle der Naturwissenschaften an den deutschen Universitäten zur Zeit der Aufklärung vor. Unter ihrer Leitung und von Anfang an gemeinsam mit dem Oberassistenten, Dr. K. Fischer, wurde in den siebziger Jahren ein von seiner Art völlig neuer Wissenschaftsbereich an der PHP aufgebaut. Zudem wurde sie Mitherausgeberin der namhaftesten Periodika zur Wissenschaftsgeschichte der DDR.
Ein Höhepunkt ihrer Karriere ist in diesem Zusammenhang zweifellos ihre Berufung in das DDR-Festkomitee zum Einstein-Jubiläum 1979 und ihr Einsatz im Einstein-Jahr.1985, im Jahr ihrer Emeritierung, konnte „ihr Lehrstuhl“ für Geschichte und philosophische Probleme der Mathematik und Naturwissenschaften auf eine noch kurze, aber sehr erfolgreiche Arbeit verweisen. Desto größer war der Schmerz, den sie empfinden musste, als der Wissenschaftsbereich 1990 aufgelöst und in der Struktur der neugegründeten Universität Potsdam – entgegen der Entwicklung an vielen anderen Universitäten – keine Berücksichtigung fand.
Auch nach ihrer Emeritierung blieb Dorothea Goetz ihrer Lebensführung und ihren Lebenszielen treu. Sie ging weiter einer ausgedehnten Vortragstätigkeit nach, insbesondere für junge Menschen. Ein wenig mehr Zeit fand sie nun für das Malen, die Poesie und die Musik. Sie konnte endlich auch ihrer Liebe zu Potsdam und Brandenburg, ihrer Heimat, durch Vorträge und eine Sammlung von Sagen der Region Ausdruck geben. Ihre humanistische Weltsicht spiegelt sich in zahlreichen Aphorismen, Gedichten und Zeichnungen, die sie ab etwa 1994 zu Papier brachte, wider.
In den neunziger Jahren sich häufende gesundheitliche Probleme konnten sie nicht von ihrer wissenschaftlichen Arbeit abbringen. Bis zuletzt war sie tätiges Mitglied des Beirats für Wissenschaftsgeschichte im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem. Nach schwerer Krankheit und wohl ahnend, dass die Zeit für sie kostbar geworden war, schrieb sie Anfang 1996 die folgenden Zeilen: „Bevor die letzten Blüten auf mich fallen, will ich leben für die Menschen, die mich brauchen, für die Menschen, die ich brauche“ Sie hat Wort gehalten.
Die Autoren sind Mitarbeiter der Universität Potsdam.
Wolfgang Kretschmar, Wolfgang Regenstein
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