Homepage: „Bildungscent statt Studiengebühren“
Der Vorsitzende der Brandenburger Grünen, Prof. Joachim Gessinger, über Studiengebühren, volle Seminare, das neue Landeshochschulgesetz und einen „Green Track“ für Doktoranden
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Der Vorsitzende der Brandenburger Grünen, Prof. Joachim Gessinger, über Studiengebühren, volle Seminare, das neue Landeshochschulgesetz und einen „Green Track“ für Doktoranden Die Landesregierung zeigt sich zufrieden mit der Entwicklung der Hochschulen im Lande. Dort ist man offensichtlich mit wenig zufrieden. Brandenburg liegt bei der Studierendenquote der Abiturienten zehn Prozent unter Bundesdurchschnitt. Trotzdem haben wir volle Häuser, das heißt, wir nehmen viele Studierende von anderen Bundesländern auf. Wir hatten einmal eine gute Relation zwischen Studierenden und Lehrenden, das ist heute schon Geschichte. Jetzt kämpfen wir auch in Potsdam mit überfüllten Seminaren. Wir bräuchten also mehr als die vorgesehenen Studienplätze? Wir haben etwa 38 000 Studenten im Land bei einer Planzahl von 27 000, man plant also von vornherein eine Überlast ein. Um nicht heute Ressourcen zu binden, versucht man mit einer angeblich temporären Überlast durchzukommen, um hinterher keine Überkapazitäten zu haben. Das schafft aber außerordentlich prekäre Studienbedingungen. Laut Demographie dürfte es in Zukunft weniger Studenten geben. Diese Prognose ist äußerst fraglich, wir werden nicht nur Brandenburger Studierende hier haben, sondern auch welche aus anderen Bundesländern und aus dem Ausland. Da alle Bildungspolitiker die Zahl der Studierenden steigern wollen, ist kaum mit einer Abnahme zu rechnen. Wenn die Landesregierung sich dafür lobt, in den kommenden Jahren 3500 neue Studienplätze zu schaffen, gleichzeitig aber den Hochschulhaushalt nicht aufstockt, dann ist das eine Mogelpackung. Die Hochschulausgaben werden vom Land immerhin von Kürzungen verschont. Das wird verkündet. Doch steigende Studierendenzahlen verursachen steigende Kosten. Im Endeffekt haben wir also weniger Mittel zur Verfügung. Daher muss beispielsweise die Uni Potsdam Schulden machen. Wir brauchen also einen Zuwachs im Hochschulbereich. Der ist aber nicht erkennbar. Auch der Hochschulpakt sagt allenfalls, dass das Niveau der Ausgaben gehalten werden soll Was fordern die Grünen? Die Pro-Kopf-Ausgaben für Hochschulen und Bildung insgesamt müssen in Brandenburg steigen. Es reicht nicht aus, die Priorität des Bereichs zu betonen. Er muss auch entsprechend mit Finanzmitteln ausgestattet werden. Die ausbleibende Finanzierung der Bibliotheken zeigt, dass wir so nicht weiter kommen. Der Hochschulpakt ermöglicht zwar, Haushaltsmittel in die kommenden Jahre zu übertragen. Das macht aber nur dann Sinn, wenn man überschüssige Mittel und kein Defizit hat. Wo sollen die zusätzlichen Mittel herkommen? Im Landeshaushalt sind noch keine eindeutigen Prioritäten gesetzt. Es könnten etwa Mittel aus dem Straßenbau in die Bildung umgeleitet werden. Man muss auch überlegen, ob man die Hochschulgelder weiter als konsumtive Mittel oder nicht vielmehr als investive Mittel begreift. Mittel für die Bildung sind Investitionen in die Zukunft. Wären nicht Studiengebühren ein Ausweg? Die öffentlichen Haushalte sind tatsächlich nur begrenzt leistungsfähig. Studiengebühren sind aber die denkbar schlechteste Lösung. Wir haben vorgeschlagen, längerfristig Erbschafts- und Vermögenssteuer einzuführen und die Goldreserven langsam aufzulösen. Das Stiftungswesen und Sponsoring müsste stärker stimuliert werden, Privat- und Firmengelder müssten direkt in bestimmte Hochschulen investiert werden können und steuerlich begünstigt werden. Was spricht gegen Studiengebühren? Diese zusätzlichen Gelder versickern im großen Haushaltstopf, so wie es mit der Rückmeldegebühr in Brandenburg geschieht. Sie kommen nicht den Hochschulen zugute. Bei nachlaufenden Gebühren, die nach dem Studium abbezahlt werden, käme der Entlastungseffekt für die Haushalte auch zu spät. Sind nachlaufenden Gebühren nicht eine sozialere Variante? Nein. Auf diesem Wege werden die Studierenden einen Schuldenberg vor sich her schieben. Man kann es auch einfacher haben. Über die Steuern hat derjenige, der eine höhere Bildungsrendite hat, später auch höhere Steuern zu zahlen. Und wenn das nicht reicht? Gebühren belasten alle gleich. Steuerbezogene Finanzierungsmodelle haben den Charme, dass sie progressiv sind, abhängig vom Einkommen. Die Frage ist nur, ob aus den Steuern genug an die Hochschulen abfließt. Das ist derzeit nicht der Fall. Eine Variante wäre der „Bildungscent“: eine geringe Sondersteuer wie der „Kohlepfennig“, die sich nach dem Einkommen richtet. Aber wie bei den Studiengebühren, kann das die Politik an anderer Stelle wieder wegkürzen. Wo kann gespart werden? Ein erhebliches Sparpotenzial liegt bei den Studienabbrechern. Die Quote liegt bei rund 25 Prozent. Für ein Viertel der Studierenden wird unnötig Geld ausgegeben. Die Quote soll nun mit allen Mitteln gesenkt werden, etwa durch verkürzte Studien mit Bachelorabschlüssen und durch eine Vorauswahl der Bewerber. Was schlagen Sie vor? Die gymnasiale Oberstufe und die Hochschule müssen sehr viel enger als bisher verzahnt werden. Der Wissenschaftsrat schlägt völlig richtig eine Orientierungsphase von einem Jahr mit intensiver Betreuung vor. In den ersten beiden Semestern soll man quer über die Fächer schauen können, danach muss man sich auf ein Fach festlegen. Zehn Prozent weniger Abbrecher wären schon ein enormer Spareffekt für die Hochschulen. Sind die im neuen Landeshochschulgesetz ermöglichten Eignungstests keine gute Idee? Nein. Die Hochschulen haben erstens keine Kapazitäten für solche Tests. In Baden-Württemberg gab es erhebliche Probleme damit. Ob sich durch diese Vorauswahl die Studierfähigkeit ermitteln lässt, ist zudem fraglich. Abiturnoten sind auch nur begrenzt aussagekräftig. Durch die Eignungstests bekämen wir zudem schnell ein Zwei-Klassen-System von Hochschulen, die einen, die die vermeintlich Guten nehmen und die anderen, die den Rest bekommen. Die richtigen Studierenden an den richtigen Platz zu bekommen, lässt sich am ehesten mit einer Orientierung im ersten Jahr erreichen – mit der Zielstellung, dass dann eine belastbare Entscheidung für ein Fach getroffen werden kann. Dieses Jahr muss von Bafög-Dauer und Credit Point-Vergabe freigestellt sein. Sie halten demnach auch nichts von der Idee der Elite-Unis? Nein. Die Elite-Unis hätten mit viel Geld und durch rigide Vorauswahl exzellente Studienbedingungen, die anderen dürfen die Massen bewältigen. Die Auswahl führt in der Praxis zu einer unerwünschten Differenzierung zwischen den Hochschulen und senkt nicht die allgemeine Abbrecherquote. Zumindest soll das neue Gesetz den Hochschulen mehr Autonomie bringen. Wo denn? Natürlich ist ein Bettler frei, er kann auf jeder Parkbank schlafen. Wirkliche Autonomie müsste den Hochschulen ermöglichen, mit ihren Beschäftigten als Dienstherr Tarife auszuhandeln und Arbeitsverhältnisse an die vorhandenen Bedingungen anzupassen. Dass es im Hochschulbereich keine Kündigungen geben darf – etwa wenn Projekte beendet sind – macht keinen Sinn. Wir brauchen mehr Flexibilität. Daher fordern wir einen spezifischen Wissenschaftstarifvertrag als Beitrag zur Modernisierung der Hochschulen. Die Gewerkschaften sind bereit dazu. Die neue Experimentierklausel gibt den Rektoren mehr Macht. Man hat die Gruppenuniversität schon mit dem bisher geltenden Hochschulgesetz zerschlagen und ein Modell eingeführt, dass an Unternehmen orientiert war. Herr Niekisch, der sich als CDU-Wissenschaftsexperte jüngst an dieser Stelle über zu viel Demokratie an den Hochschulen erregt hat, ist hier – um es freundlich auszudrücken – von einer profunden Ahnungslosigkeit befallen. Tatsächlich wurde der akademische Bereich von Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen, was zu einer extremen Entsolidarisierung an den Hochschulen führte, ohne dass die Leitung dadurch professioneller wurde. Jetzt der Hochschulleitung die Möglichkeit zu geben, die vorgegebenen Strukturen zu modifizieren, ist nicht das, was die Beteiligten fordern. Die Studierenden sagen mit Recht, dass sie außen vor sind. Auch die Gestaltungsmöglichkeiten der Lehrenden wurden zunehmend beschnitten. Die Hochschulleitungen werden die Macht, die sie in die Hand bekommen haben, nicht mehr hergeben. Die Hochschulen werden nun zum Teil auch nach Leistung gefördert. Eine gute Idee, nur müsste die Grundfinanzierung der Hochschulen dafür auch adäquat sein. Wenn man ohnehin schon zu wenig im Topf hat, ist die Finanzierung nach Leistung ein Witz. Positiv ist die Nachwuchsförderung, der Vorschlag für mehrere Graduierten-Schulen liegt auf dem Tisch, was allerdings als Instrument nicht reicht. Wir schlagen einen „Green Track“ vor: Wir wollen, dass die Doktorandenphase als Einstieg ins Berufsleben, nicht mehr als Studium zählt. Die damit verbundenen Leistungen, wie etwa die Betreuung von Studierenden und die Mitarbeit in der Forschung, sollen auch bezahlt werden. So werden die Doktorandinnen und Doktoranden ökonomisch unabhängiger und in Aufgaben an den Hochschulen eingebunden. Dazu müssten allerdings die Personalmittel erhöht werden. Wie sehen die Grünen eine fusionierte Hochschullandschaft Berlin-Brandenburg? Wir werden im Sommer gemeinsam mit den Berliner Grünen ein Konzept für eine Wissenschaftsregion Berlin-Brandenburg vorlegen. Es gibt eine hohe Wissenschaftsdichte im Berliner Umfeld. Wir brauchen einen Rahmen, der den Einrichtungen eine stärkere Kooperation ermöglicht. In der Lehre wäre der Idealzustand, dass Studierende an einer der Hochschulen eingeschrieben sind, aber das Angebot der jeweiligen Fächer an anderen Einrichtungen wahrnehmen können. Jede Hochschule bringt ihr spezifisches Profil ein. Auch müssten Lehrangebote verschiedener Hochschulen an einem Standort konzentriert werden können, das heißt die Dozenten werden dann zu den Studierenden reisen. Viele Fächer gäbe es dann doppelt. Das Argument des Mehrfachangebots wird gerade in Berlin wieder benutzt, um Fächer dicht zu machen. Gebraucht wird eine Struktur, in der die einzelnen Standorte in einem Fach eigene Schwerpunkte anbieten, die in der Gesamtheit ein optimales Angebot ergeben. Für die Forschung sieht das ähnlich aus. Hätten wir in einem gemeinsamen Bundesland nicht zu viele Hochschulen? Im Gegenteil. Wenn man sich die Zahl der Studienplätze im Verhältnis zur Bevölkerungszahl betrachtet, fallen wir bundesweit zurück. Und dazu werden auch noch in Berlin Studienplätze abgebaut. Wir haben also zu wenig Studienplätze in der Region. Neue Hochschulen kann heute keiner bezahlen. Doch das, was wir haben, muss besser vernetzt werden, um es leistungsfähiger zu machen. Die Strukturen zu zertrümmern, wie gerade in Berlin etwa in der Romanistik, ist das falsche Signal. Müssten die Hochschulen nicht jetzt schon stärker aufeinander zugehen? Selbstverständlich. Aber sie haben Angst, dass dies zu Kürzungen genutzt würde. Hier müssten erst die politischen Rahmenbedingung geändert werden. In Sachen Wissenschaftsregion Brandenburg-Berlin müsste die kommende Landesregierung ein erhebliches Tempo vorlegen. Leider wird die Angleichung zu allererst bei der Studienfinanzierung erfolgen: Brandenburgs Landesregierung wird, egal ob schwarz-rot oder rot-rot, nach den Wahlen Studiengebühren in welcher Form auch immer einführen. Vor den Wahlen traut sich das keiner zu sagen. Der SPD-PDS-Senat in Berlin geht mit Studienkonten voran, Brandenburg wird nachziehen, ohne dass sich die Studienbedingungen dadurch verbessern werden - mit Sicherheit der falsche Weg. Das Gespräch führte Jan Kixmüller.
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