zum Hauptinhalt

Etwas HELLA: Bis die Kringel schmelzen

Man muss sich nur langsam herantasten, dann geht das schon. Erst wird der Weihnachtsmarkt ein bisschen nach hinten verlängert, weil man nach dem fetten Gänse- oder Entenbraten an den Weihnachtsfeiertagen noch darüber schlendern und als Magenneutralisation einen Schnaps oder Glühwein trinken möchte.

Stand:

Man muss sich nur langsam herantasten, dann geht das schon. Erst wird der Weihnachtsmarkt ein bisschen nach hinten verlängert, weil man nach dem fetten Gänse- oder Entenbraten an den Weihnachtsfeiertagen noch darüber schlendern und als Magenneutralisation einen Schnaps oder Glühwein trinken möchte. Auch der Umtausch von Geschenken kann so viel entspannter vor sich gehen. Die Händler waren ganz wild darauf und haben sofort ja gesagt, als die Weihnachtsmarktverlängerung probeweise eingeführt wurde. Mal ehrlich, Weihnachten im trauten Heim ist doch dröge und Verkäuferinnen lieben es geradezu bei Schnee und Kälte im hübsch geschmückten Büdchen zu stehen, statt sinnlos zu Hause zu essen und zu trinken und alle Fünfe gerade sein zu lassen. Das ist höchst ungesund und macht bloß dick.

Eine Verlängerung des Trubels mit Weihnachtsmann und Jingle Bells in den November hinein ist aber noch viel einträglicher und woanders wird auch schon vor Totensonntag losgelegt. Da muss sich Potsdam keine Extra-Wurst braten. Viel besser ist es doch, rechtzeitig die Bratwürste auf den Grill zu werfen und die Knacker in den Grünkohl. Außerdem kann man in der dunklen Jahreszeit gar nicht genug Lichterglanz installieren, um die Herzen und Portmonees zu öffnen.

Ich erinnere mich allerdings an eine Geschichte von Heinrich Böll aus dem Jahre 1952 (habe ich nicht ein erstaunliches Gedächtnis), die „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ heißt und davon erzählt, dass die Hausfrau einer Familie nicht vom Heiligabend-Ritus lassen will, schreit und tobt, als man den Baum abschmücken will und so wird immer weitergefeiert bis die Zuckerkringel in der Sommersonne schmelzen und die Nadeln des Tannenbaumes den Boden bedecken. Die Familie – völlig entnervt – lässt sich schließlich sogar von Schauspielern doubeln. Leider weiß ich nicht mehr, wie die Sache ausging, so gut ist mein Gedächtnis nun auch wieder nicht. Um beim ganzjährigen Weihnachtsmarkt keine Katastrophe heraufzubeschwören, muss man sich eben ganz langsam an das Event herantasten. Der Tannenschmuck könnte eventuell auch ein bisschen variiert und von Zeit zu Zeit durch Maiengrün ersetzt werden. Auf „Süßer die Glocken nie klingen“ und „Stille Nacht“ als musikalische Beigabe sollte man aber nicht verzichten. Wegen des Härtetests. Denn wer diese Dauerbeschallung aushält und keine Anzeichen von leichtem Irrsinn zeigt, der steht auch ganzjährige Weihnachtsmärkte durch. Den Hinweis, dass das Leben nicht nur aus Feiern, Einkaufen und Spaß besteht, sondern zum Beispiel auch aus traurigen Ereignissen, dass der Toten gedacht werden sollte und dass es auch christliche Gedenktage gibt, die Einkehr verlangen, halte ich aber für kleinkariert. Eingekauft wird immer. Hauptsache die Geschäfte sind auf. Stolle und Pfefferkuchen gibt es seit Oktober und die schokoladigen Weihnachtsmänner sind längst im Vormarsch. Bei ganzjährigen Weihnachtsmärkten dürften sie sogar durchmarschieren und müssten nicht zu Osterhasen umgeschmolzen werden. Die eingesparte Energie könnte dann für pausenloses Oh-du-fröhliche-Gedudel eingesetzt werden.

Alle zwei Wochen schreibt Hella Dittfeld über Dinge, die sie erfreuten oder ärgerten und hofft, dass Potsdam etwas heller wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })