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DICHTER Dran: Bittere Medizin

Besuche bei Gynäkologen gehören zu den widrigen Momenten im Leben. Sie kommen noch vor dem Fensterputzen und gleich nach dem Zahnarzt.

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Besuche bei Gynäkologen gehören zu den widrigen Momenten im Leben. Sie kommen noch vor dem Fensterputzen und gleich nach dem Zahnarzt. Ich hatte mich dieser Prozedur so lange nicht unterzogen, dass ich mir aus Mangel an Erinnerung an die letzte eine neue Ärztin suchen musste. Ich ging nach Schönheit und Lage der Praxis (Barockhaus am Park), was schon ein Fehler war. Zuerst lief alles gut. Oder besser: es war nur die gewöhnliche Demütigung. Plus etwas Angstmache. Beherzt zeigte mir die Gynäkologin das Ultraschallfoto einer Gebärmutter mit Krebsbefall. Nicht meine. Die einer anderen Patientin. Mein Befund war in Ordnung. Noch. Ohne HPV-Impfung steige die Gefahr. Auf dem Papier, das mir die Ärztin gab, fanden sich geheimnisvolle Zeichen. Hieroglyphen, dachte ich ehrfürchtig, lesbar nur für Mediziner: zwei U mit je einem Punkt in der unteren Mitte, darunter ein Kreis, der einen kleineren Kreis umschloss. Die Potsdamer Ärztewelt spricht ihre eigene Sprache. Als ich den Befund einer Freundin zeigte, sagte sie: „Das sind zwei Brüste, Schätzchen. Und das da ist der Ort, an den die Sonne selten hinscheint. Deine Ärztin versucht sich in abstrakter Malerei.“ Sie war versierter als ich. Ein Babelsberger Hautarzt hatte ihr kürzlich für einen Neurodermitisausbruch ohne weiteres Medikamente verschrieben, die man sonst nach Organtransplantationen, bei MS oder schweren Halluzinationen einnimmt. Seitdem hat sie nur noch Verletzungen, für die es Potsdamer Ärzte gibt, die eine andere Sprache sprechen. Sie hat sich den Finger gebrochen, um in sorgfältige Behandlung bei einem iranischen Handspezialisten zu kommen. Sie kennt einen sachkundigen griechischen Chirurgen. Eine Ärztin der chinesischen Heilkunde aus Odessa hat mit nur zwei Nadelstichen und ganz ohne Prednison die Haut in den Griff gekriegt. Ich bin jetzt auch soweit. Anstelle der nächsten gynäkologischen Untersuchung werde ich mir Akkupunkturnadeln setzen lassen. Falls dann nicht alles ausgebucht ist. Es muss viele Potsdamerinnen geben, die ähnliche Intim-Zeichnungen in ihrer Schublade haben.

Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

Antje Rávic Strubel

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