Box-Event: Blaue Augen
Der WM-Kampf im Frauenboxen bot wenig Glamour. Das Publikum konzentrierte sich auf den Sport. Obwohl die boxenden Frauen nicht allen gefielen
Stand:
Aus dem Puhdys-Gitarristen Dieter Hertrampf hätte vielleicht ein Boxer werden können – hätte er sich nicht für etwas weniger Schmerzhaftes entschieden. Hertrampf musste in der Schule boxen – „das war ganz normaler Bestandteil des Sportunterrichts, zumindest für die Jungs“, erinnerte er sich. Er blieb dann aber lieber beim Tischtennis – das tut weniger weh.
Er war einer von knapp 3000 Zuschauern, die am Samstagabend den WM-Kampf im Frauenboxen in der MBS-Arena verfolgten. An Sachverstand fehlte es dem Publikum nicht, auch wenn es für die meisten der erste Boxkampf war, den sie live statt auf dem Bildschirm verfolgten. So dauerte es zwar den ganzen Abend – und dann noch einmal zehn Runden, bist feststand, was alle vorher gewusst hatten: Ramona Kühne, Profibox-Weltmeisterin aus Rangsdorf, hatte ihre Titel der Weltverbände WBO, WBF und WIBF gegen die Brasilianerin Halanna dos Santos verteidigt.
AUSFÜHRLICHER BERICHT ZUM KAMPF: Am Montag in den Potsdamer Neuesten Nachrichten
„Frauen schlagen ohnehin brutaler zu“, hatte Axel Schulz zuletzt im PNN-Interview behauptet. Im Vorprogramm der Frauen-Weltmeisterschaft trat er erstmals als Boxmanager auf. Dort schickte der 44-jährige Schulz den 19 Jahre alten Dario Bredicean in den Ring. „Ganz ehrlich: Das ist ein Scheiß-Job“, sagte Schulz hinterher – und das, obwohl sein Schützling erfolgreich war. Denn anders als beim Boxen sei man in der Rolle des Managers vollkommen hilflos, wenn der Kampf erst einmal begonnen habe. Das Boxen vermisse er trotzdem nicht – „dafür bin ich einfach zu alt“.
Noch mehr Box-Erfahrung als Schulz hat der frühere Kampfrichter Walfried Rollert – manches hat sich in seinen Augen verschlechtert: „Die Kämpfe sind heute wesentlich schneller, die edle Kunst der Selbstverteidigung geht dabei ein wenig verloren.“ Gut sei allerdings, dass heute auch Frauen in den Ring dürften – auch wenn die Männer noch immer besser ausgebildet seien und es dem Frauenboxen noch an Popularität mangele.
Viele im Saal fanden es zumindest ungewöhnlich, dass Frauen boxen, auch wenn man das ja so nicht sagen dürfe. Einer aber darf, weil man von ihm gar nichts anderes erwartet: „Ich mag keine Frauen mit blauen Augen und gebrochenen Nasen“, sagt Ex-Boxer Graciano Rocchigiani. Eigentlich hätten Frauen im Ring nichts zu suchen – boxerisch lasse ihre Leistung ohnehin oft zu wünschen übrig. Von seinem Schützling Ramona Kühne kann man das allerdings nicht behaupten – Rocky gehörte selbst zu ihrem Trainerteam.
Bei einem sportlich derart kenntnisreichen Publikum blieb für den großen Glamour nur wenig Platz in der MBS-Arena. In Jeans und Karo-Hemd, bei Brezeln und Bier blieb die Atmosphäre vor allem bodenständig. Zum Sehen und gesehen Werden war kaum einer der rund 3000 Zuschauer gekommen, die meisten verfolgten auch die Vorkämpfe aufmerksam. Eben das sei auch ein Erfolg der neuen Halle – die Stadt mit dem Sport in Verbindung zu bringen, sagte Beate Fernengel, IHK-Vize-Chefin und Direktorin des Potsdamer Arcona-Hotels. „Die Wirtschaft muss den Sport heute noch viel mehr fördern als bislang, das stärk auch Potsdam und Brandenburg insgesamt.“ Zu DDR-Zeiten habe es dafür ein vom Regime gelenktes System gegeben, heute müsse sich der freie Markt statt des Staates darum bemühen.
Von einer allzu engen Verbindung zwischen Sport und Politik wollte auch SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier nichts wissen. Auch ein knappes halbes Jahr vor der Bundestagswahl lehne er es ab, aus einem Boxkampf etwas für den Wahlkampf zu lernen. „Man sollte anerkennen, dass die Regeln hier ganz andere sind.“ Bei der Maxime blieben auch die dauererfolgreichen Spielerinnen von Turbine Potsdam. Das Team hatte Anfang Februar ein Boxtraining mit Kühne absolviert. „Das war für uns eine schöne Abwechslung zum normalen Training, man lernt dabei aber auch, andere Sportarten zu respektieren“, sagte die Abwehrspielerin Inka Wesely. „Aber selbst mal in den Ring steigen? Keinesfalls!“
Nicht einmal der derzeit wegen des Flughafen-Desasters und des Knatschs mit Berlin arg gebeutelte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) würde einen Boxkampf einem Telefonat mit seinem Parteifreund, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, vorziehen – als Antwort auf die Frage schüttelte er die Reporterin mit einem kräftigen Lachen ebenso kräftig an den Schultern. Dabei, so sagt er, sei Boxen etwas sehr Brandenburgisches, das er mit der Zeit lieben gelernt habe.
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