Landeshauptstadt: Blessuren aus Berlin
Für die Potsdamer Sozialdemokraten war Platzecks Rücktritt „ein Schock“ – und zugleich eine „gute Nachricht“. Freunde glauben jedoch nicht, dass der Babelsberger ohne „Beulen“ zurückkehrt
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Die Potsdamer Sozialdemokraten waren in Aufbruchsstimmung. An diesem Montag zog der Brandenburger Landesverband in neue Büros in der Alleestraße um. Mitten in das gemeinschaftliche Kistenschleppen platzte die Nachricht aus Berlin: Matthias Platzeck tritt als Bundesvorsitzender der SPD zurück. „Es war ein Schock“, sagt Mike Schubert. Er ist Fraktionschef der SPD im Potsdamer Stadtparlament und galt lange als Platzecks politischer Ziehsohn. Besonders die Sozialdemokraten in Babelsberg habe die Nachricht getroffen, so Schubert – denn für seine Heimat-Basis habe der Babelsberger Platzeck sich auch in den vergangenen Wochen immer wieder Zeit genommen. „Für die Babelsberger ist er tatsächlich ein Parteifreund – und wenn man nicht merkt, dass es einem Freund schlecht geht, nimmt einen das mit.“ Platzecks Entscheidung werde aber an der Potsdamer SPD-Basis respektiert, so Schubert.
Überrascht von der Nachricht aus Berlin wurde gestern auch Jann Jakobs, Platzecks Nachfolger im Amt des Potsdamer Oberbürgermeisters. Noch am Abend bevor Platzeck in der letzten Märzwoche wegen des zweiten Hörsturzes ins Krankenhaus musste, habe er den Ministerpräsidenten getroffen, so Jakobs gestern. „Er wirkte angegriffen, aber ich habe nicht im Entferntesten gedacht, dass es ihm gesundheitlich so schlecht geht.“ Er wisse jedoch aus eigener Erfahrung, so Jakobs, „dass Matthias sich in Aufgaben intensiv reinkniet“. Vielleicht sei ihm dies zum „gesundheitlichen Verhängnis“ geworden. Dass der Brandenburger Ministerpräsident vor laufenden TV-Kameras offen einräumte, zwei Hörstürze und Mitte Februar einen Kreislauf- und Nervenzusammenbruch erlitten zu haben, wundert SPD-Fraktionschef Schubert nicht. „Wer Platzeck kennt weiß, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt – und dafür lieben ihn die Menschen.“
Das war in Platzecks Babelsberger Kiez gestern deutlich zu spüren. „Vernünftig“ nannte Ursula Zander die Entscheidung des Politikers. In ihrem Sportlerrestaurant „Hiemke“ in der Karl- Gruhl-Straße ist Platzeck seit mehr als 15 Jahren ein oft gesehener Gast. „Hier wird er als Nachbar begrüßt, nicht als Politiker“, so Zander. Allerdings sei er in den vergangenen Monate nur noch selten da gewesen. An den letzten Besuch im Februar kann sich Ursula Zander allerdings noch erinnern. „Da habe ich ihm schon geraten, dass er sich einmal ausruhen soll.“ Denn Platzeck sei eben trotz seiner Begabung als Politiker auch ein sensibler Mensch, dem die Doppelbelastung auf Dauer die Gesundheit schädigen könne, vermutet sie. „Auf jeden Fall wünschen unsere Belegschaft und ich gute Besserung.“ Eleonore Weber, die gestern am frühen Nachmittag mit ihren Hunden im Park Babelsberg unterwegs war, hofft trotz allem auf ein Comeback von Platzeck in der Bundespolitik. „Das ist wirklich bedauerlich, dass er es nicht geschafft hat.“ Doch in diesem Fall sei die Gesundheit wichtiger. Trotzdem hat sie einen Traum: „In unserer Familie wünschen wir uns alle, dass Matthias Platzeck Bundeskanzler wird – vielleicht klappt das ja noch.“
Das hoffen wohl auch die Potsdamer Sozis. Sie nehmen „ihren Matthias“ kollektiv in Schutz. Platzeck sei noch immer einer der „profiliertesten SPD-Politiker bundesweit“, sagt Fraktionschef Schubert. Die prinzipielle Kritik an seiner Führung der Bundespartei nach nicht einmal hundert Amtstagen sei unangemessen gewesen, die Erwartungen „überspannt“, meint Oberbürgermeister Jakobs. Die SPD sei ein „Tanker“ – ihn neu auszurichten brauche Zeit. „Matthias Platzeck ist der Mann, der es gekonnt hätte.“ Zwar habe auch er große Hoffnung gehabt, dass die SPD unter Platzeck „eine eigenständigere und von der Regierungspolitik unabhängigere Position bezieht“, sagt Jakobs – doch sei Platzecks „klares Bekenntnis zu Brandenburg und zu Potsdam auch eine gute Nachricht“.
Dass der Ministerpräsident ohne Blessuren aus Berlin nach Brandenburg zurückkehrt, glaubt einer seiner engen Freunde in Potsdam jedoch nicht. Platzeck habe „echte Beulen davongetragen, die jetzt Balsam brauchen“, sagt Bernd Schröder. Der Trainer der Potsdamer Bundesliga-Fußballerinnen schaut weniger durch die politische Brille, sieht vielleicht deshalb, was womöglich offensichtlich war. „Politik in einer Demokratie ist ein Mannschaftssport, aber ich habe bei Matthias nie die Mannschaft gesehen.“ Schon länger habe er die Situation mit Besorgnis beobachtet, sagte Schröder: „Ich habe befürchtet, dass es zu Bruch geht.“ Dass Platzeck gestern öffentlich davon sprach, nicht weiter gegen eine Wand rennen zu wollen, deutet Schröder so: „Die Wand ist nicht nur sein gesundheitlicher Zustand, das sind auch seine eigenen Leute.“ Eine Belastung wie Matthias Platzeck sie hatte, könne man nur überstehen, wenn das Umfeld stimme, meint der Fußballtrainer. „Und es hat nicht gestimmt. Er ist auch an einem unehrlichen Umfeld gescheitert.“
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