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Sport: Blockade vorm Tor

Die Electric Wheel Sharks sind eine Hockey-Mannschaft jenseits der großen Schlagzeilen des Sports

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Die Bälle in Ruhe annehmen. Sich Übersicht verschaffen und erst dann abspielen. Das Spiel ohne Hektik aufbauen. Die Anweisungen von Trainer Sebastian Rühle sind klar und präzise, seine Spieler nicken zustimmend. Was wie eine normale Taktikbesprechung vor einem Hockeyspiel klingt, unterscheidet sich dennoch erheblich von dem, was gewöhnlich auf TV-Sportkanälen zu sehen ist oder in Zeitungen berichtet wird. Rühle ist Trainer der Electric Wheel Sharks des Berufsbildungswerkes des Oberlinhauses. Seine Spieler sitzen im Rollstuhl – genauso wie die gegnerischen Teams des Nordic Cups, einem Turnier im Elektrorollstuhl-Hockey, das am vergangenen Samstag in Potsdam Station machte.

Tilmann ist 19 Jahre alt und wird seit zwei Jahren am Oberlinhaus zum Kaufmann im Gesundheitswesen ausgebildet. Er stammt aus Tangerhütte, einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt, wo er an seiner damaligen Schulen mit dem E-Hockey, wie es kurz heißt, begonnen hat. „Aber da haben wir nie gegen andere Mannschaften gespielt“, sagt er. Diese Erfahrung macht er, seitdem er in Potsdam ist. Dort gibt es an der Berufsschule des Oberlinhauses die Electric Wheel Sharks seit zehn Jahren. „Jetzt weiß ich auch, wie sich das Lampenfieber und die Aufregung vor einem Turnier anfühlen“, sagt Tilmann. Er sei dankbar, diese Emotionen des Sport erleben zu können – überhaupt: „E-Hockey gibt mir die Möglichkeit, Sport zu machen, obwohl ich im Rollstuhl sitze.“

Tillmann leidet seit seinem neunten Lebensjahr an einer Muskeldystrophie, einer Erbkrankheit, die zu Muskelschwäche und Muskelschwund führt. Kleinwüchsigkeit, Lähmungen oder Spastiken gehören zu den Krankheitsbildern, die Tilmanns Mannschaftsgefährten und die E-Hockeyspieler an den Rollstuhl binden. Zu Turnieren des Nordic Cups treffen sich sechs Mannschaften fünf Mal im Jahr – je einmal in Güstrow und Potsdam, dreimal in Berlin. „Es ist auch so eine Art Netzwerktreffen“, sagt Sibylle Grenetzka, Teamleiterin der Sharks und Heimleiterin des Bildungswerkes. In den vergangenen Jahren hätten bei den Turnieren die Berufsschüler aus Babelsberg immer wieder Mannschaften kennengelernt, bei denen sie nach Ende ihrer Ausbildung heute spielen. So auch Anna Schütz, die vor zehn Jahren die Anfänge des Potsdamer Teams mitbegründete, heute bei den Nording Bulls Lahlendorf nahe Güstrow spielt – und in wenigen Tagen das erste Mal ein Probetraining bei der deutschen E-Hockey-Nationalmannschaft absolvieren wird. Mit ihrem Team spielt sie in der Bundesliga – gegen Mannschaften aus München, Frankfurt oder Essen. „Ohne den Sport könnte ich nicht so viel reisen“, sagt die 27-Jährige, die ebenfalls an Muskeldystrophie erkrankt ist. Bei den Spielen des Nordcup Turniers spielt Anna Schütz mit dem Hockeyschläger in der Hand. „Das ist anstrengend und kostet mich schon viel Kraft“, sagt sie. In der Bundesliga, wo Niveau und Tempo des Spiels wesentlich höher sind, ist ihr Schläger fest am Rollstuhl montiert.

Diesen als Sportgerät einzusetzen, verlangt einen sicheren Umgang und ausgeprägte Navigationskünste: Blitzschnell fahren, wenden und rotieren die Elektrorollstühle auf dem Spielfeld, um das eine Rundumbande von 28 Metern Länge und 16 Metern Breite läuft. Die Tore sind 2,40 Meter breit und 20 Zentimeter hoch. Vor den Toren sind an einem Halbkreis meist zwei bis drei E-Rollstühle postiert – als Blockade. Je höher das Spielniveau, desto teurer die Rollstühle. Bei der dritten E-Hockey-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr im München waren Modelle zu sehen, die bis zu 15 000 Euro kosten. „Mit denen kann man regelrechte Sprünge machen“, behauptet Sibylle Grenetzka.

„Einen sicheren und selbstbewussten Umgang mit dem Rollstuhl zu bekommen, ist ein Ziel und ein Effekt des Hockeytrainings“, sagt Coach Sebastian Rühle, der sich jeden Montag mit seinen Spielern in der Sporthalle des Berufsbildungswerkes in der Steinstraße trifft. Slalom fahren, Pässe spielen, Annahme- und Abschlusstechniken üben – all das sind Inhalte eines Trainings. „Das verbessert die Koordination und schult die Steuer- und Navigationskünste“, sagt Rühle.

Tilmann nickt: „Der Sport bereichert den Umgang mit den Rollstuhl ungemein.“ Die ersten beiden Turnierspiele am vergangenen Samstag haben die Skarks verloren. Gegen die Bucher Tigers aus Berlin gab es einen 6:1-Sieg. „Das lief schon ganz gut“, kommentierte Tilmann nach Spielschluss. Körperlich anstrengend sei sein Einsatz nicht gewesen, sagt er. Er blockiert mit seinem E-Rollstuhl das Tor. „Aber so ein Spiel verlangt sehr viel Konzentration“, erklärt der 19-Jährige und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

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