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Landeshauptstadt: Bonbonläden statt Ruinen

Babelsberger Schüler nehmen an der Projektwoche „Stadtentdecker“ teil. Gemeinsam mit Architekten entwickeln sie Ideen für ihren Kiez

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Grüne Nasen, schwarze Hände: Dass die Kinder der Klasse 6a der Babelsberger Goetheschule die ganze Woche fleißig gewerkelt haben, das sieht man. Gerade noch hantieren sie mit dem Pinsel und perfektionieren mit letztem Handgriff ihre Modellentwürfe – bis mittags muss alles fertig sein. An fünf Tischen haben die Gruppen ihre Werke aufgebaut. Es ist laut, hektisch. Und es riecht nach Acrylfarben. Mittendrin herrscht Klassenlehrerin Frau Lange über das Chaos und ruft Anweisungen durch den Raum, während sich die projektbegleitende Architektin Sabine Thürigen zwischen den Tischen hin- und herbewegt.

Im Rahmen der Projektwoche „Stadtentdecker“ der Brandenburgischen Architektenkammer entwickeln die Schüler hier unter Anleitung Ideen für ihre Stadt, genauer gesagt für den brachliegenden Bahnturm in der Anhaltstraße/Rudolf-Breitscheid-Straße, in unmittelbarer Nähe zur Schule. Den hatten die Schüler auf ihrem Schulweg ausgemacht – Verbesserungsvorschläge folgten prompt. Dann wurde gezeichnet, gerechnet – und fast ohne es zu merken, entwickelten die Kinder städtebauliche Visionen. Aus Pappe und im Maßstab 1:50.

Der als Umgestaltungsobjekt auserkorene Bahnturm ist, so Thürigen, zwischen 1911 und 1914 erbaut worden und war bis 1961 in Betrieb. Vor der Wende hatte dort ein Schuster sein Geschäft, heute steht er leer. Der S-Bahnhof Babelsberg gehöre zum Sanierungsgebiet und stehe unter Denkmalschutz. Die Hoffnung bei dem Projekt: Anwohner und Stadt sollen den Turm wahrnehmen und ihn mitretten. „Eigentlich müsste man da noch jemanden von der Deutschen Bahn einladen, der er gehört“, bemerkt Anja Kotlan von der Brandenburgischen Architektenkammer. Auch sie schaut den Kindern heute über die Schulter.

Der Ursprung für das Projekt liegt in der von Sabine Thürigen seit 2011 angebotenen Stadtsafari im Stadtteil Babelsberg. Auf einer Tour vom Nollendorfer Anger zum Weberplatz beobachteten die Kinder die Architektur in ihrer unmittelbaren Umgebung. Ihre Fotografien und Auswertungen stellten sie am Ende mit Plakaten vor. Im Rahmen des Kulturland-Themenjahres „Kindheit in Brandenburg“ ging man 2014 einen Schritt weiter. In sieben Städten Brandenburgs rief der Brandenburgische Architekturverband gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Städtekreis Berlin-Brandenburg die „Stadtentdecker“ ins Leben. Babelsberg, das nicht in den Verbundskreis gehört, war da noch nicht dabei. Erst auf Initiative der Kunstlehrerin konnte das Projekt auch an der Goethe-Schule realisiert werden. Sie stellte einen Antrag bei der Schulleitung – mit Erfolg. Zeitgleich läuft die Projektwoche an der Evangelischen Grundschule Babelsberg klassenübergreifend. Die Gelder zur Umsetzung kommen vom brandenburgischen Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung. Das Bildungsministerium hält sich zurück.

Ziel sei es, einen Dreiklang zwischen Architekten, Schule und Stadt herzustellen und Kinder für ihre gebaute Umwelt zu sensibilisieren. „Die Akzeptanz ist auf allen Seiten groß auch die Eltern helfen mit,“ sagt Thürigen, die selbst Mutter von vier Kindern ist.

Beim Vorgespräch beim Stadtkontor, das die Entwicklung des Sanierungsgebietes koordiniert, nutzten die Kinder bereits die Gelegenheit, weitere Dinge anzusprechen: „Die Bushaltestelle in der Großbeerenstraße ist doof, beim Plantagenspielplatz fallen die Bälle auf den benachbarten Friedhof und statt eines Gebäudes kann man eine Kartbahn errichten“, erinnert sich Lehrerin Lange. Dass das Projekt viel cooler ist als normaler Unterricht, darüber sind sich alle 21 Kinder einig. „Das ist viel besser als sitzen und zuhören“, sagt zum Beispiel Zoe. Außer dem Maßstab und Skizzenvorlagen bekamen die Schüler keine Vorgaben. Ein Trend zeichnet sich dennoch ab: Ein Cupcake-Turm, ein Turm mit Softeisladen, einer mit rosarotem Turmcafé, einer mit Süßigkeitenladen – Kinderträume sind eben süß. Mit etwas Abstand beobachten Béla und Max das Gewusel im Klassenzimmer. Sie sitzen vorne an der Tafel und basteln keine Modelle, sondern die Powerpoint-Präsentation für die Vorstellung der Endergebnisse am 5. Mai im Awo-Kulturhaus. Danach werden die Werke im Stadtkontor und in Babelsberger Geschäften ausgestellt.

Rita Orschiedt

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