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Von Matthias Matern: „Boomtown mit Sogwirkung“

Knapp 20 Prozent mehr Arbeitsplätze erwarten Wirtschaftsexperten für Potsdam bis 2020. Viele der Beschäftigten pendeln ein

Von Matthias Matern

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Der Stadt Potsdam sagen die Experten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) eine glänzende Zukunft voraus. Nirgendwo sonst in Berlin-Brandenburg wird die Zahl der Erwerbstätigen so stark zunehmen wie in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Während die PwC-Analysten in ihrer aktuellen Studie „Deutschland 2020“ für Berlin in den kommenden zehn Jahren einen Anstieg der Erwerbstätigenzahl von 1,9 Prozent erwarten, prognostizieren sie für Potsdam ein sattes Plus von 19,6 Prozent. Auch bundesweit ein absoluter Spitzenwert. Weit weniger rosig dagegen schätzen sie die Entwicklung für das benachbarte Potsdam-Mittelmark ein: Neben dem Landkreis Märkisch-Oderland ist Potsdam-Mittelmark der einzige Kreis mit direkter Grenze zu Berlin, der laut PwC bis 2020 weiter an Erwerbstätigen verlieren wird. Zwar deutlich weniger als in vergangenen Jahren, doch immerhin noch um rund 3,6 Prozent.

„Potsdam ist eine Boomtown und hat damit eine besondere Sogwirkung. Das macht es für Potsdam-Mittelmark nicht einfach“, meint PwC-Vorstand Wolfgang Wagner. Zwar hätten berlinnahe Orte wie Kleinmachnow reichlich Zuzug zu verzeichnen. So stieg die Einwohnerzahl der Gemeinde Nuthetal etwa von 1992 bis 2008 um 83,5 Prozent, in Stahnsdorf um 77,3 Prozent. Arbeiten aber würden die meisten vermutlich in Berlin und Potsdam, meint Wagner. „Wir leben von den beiden Hauptstädten“, sagt auch Martin Rätz, Wirtschaftsförderer im Kreis Potsdam-Mittelmark.

Das belegen ebenfalls die Pendlerzahlen. Nach Angaben des Statistischen Jahrbuchs Brandenburgs pendelten 2008 etwa 14 000 Mittelmärker zum Arbeiten nach Potsdam. Der Gegenverkehr jedoch fiel mit 6000 Potsdamern vergleichsweise gering aus. Mit insgesamt 46 600 Auspendlern belegte Potsdam-Mittelmark landesweit den ersten Platz.

Die Attraktivität Potsdams begründet Wagner mit der Mischung aus Tradition und Moderne. „Es gibt eine wiederbelebte Historie, aber auch viele junge Studenten und Forschungseinrichtungen“, meint der PwC-Vorstand. Potsdam sei deshalb eine begehrte Wohnlage, aber vor allem auch ein guter Platz zum Arbeiten. Wem es während des Studiums an einem Ort gut gefallen hat, möchte dort später auch arbeiten. „Forschung und Medien sind Leuchtturmbranchen mit einer entsprechenden Strahlkraft.“

Karl Brenke, Wirtschaftsexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW), überrascht die Prognose des PwC für die Landeshauptstadt kaum. „Das wäre nur die Fortsetzung von dem, was wir bereits in den vergangenen zehn Jahren erlebt haben.“ Viele Arbeitsplätze seien allerdings auch staatlichen Institutionen zu verdanken. „Potsdam ist eine Verwaltungsstadt. Sie ist nicht nur Landeshauptstadt, sondern auch einige Bundeseinrichtungen sitzen nach wie vor dort“, meint Brenke.

„Auch andere Untersuchungen bestätigen die Tendenz, die in der PwC-Studie aufgezeigt werden. Die Höhe der prognostizierten Zuwächse hat uns aber schon überrascht“, gibt Potsdams Wirtschaftsförderer Stefan Frerichs zu. Allerdings scheint das Interesse an Gewerbeflächen den Aufwärtstrend ebenfalls widerzuspiegeln. Um rund 80 Prozent ist der Gewerbebestand der Stadt in den vergangenen 15 Jahren gewachsen. „Wir haben einen Bedarf von zusätzlich 20 bis 30 Hektar für die kommenden zehn Jahre ermittelt“, berichtet Frerichs.

Doch dem weiteren Wachstum Potsdams sind räumliche Grenzen gesetzt. „Wir müssen darauf achten, dass wir einen guten Mix an potenziellen Wohn- und Arbeitsflächen beibehalten“, räumt der Potsdamer Wirtschaftsförderer ein. Wohnraum ist bekanntlich knapp, etwa 61 Prozent der Erwerbstätigen kommen von außerhalb nicht nur aus Berlin und dem nahen Umland, auch aus dem mehr als 50 Kilometer entfernten Niemegk im südlichen Potsdam-Mittelmark.

„Durch die Autobahnanbindung ist Potsdam ein sehr starker Magnet“, bestätigt Thomas Hemmerling, Amtsdirektor vom Amt Niemegk. Der überwiegende Teil der Berufstätigen im Amtsbereich seien wohl Pendler, schätzt Hemmerling. Trotz der stark zurückgehenden Bevölkerung Niemgeks gibt es nicht ausreichend Arbeitsplätze vor Ort. In den vergangenen zehn Jahren sank die Einwohnerzahl von 5400 auf derzeit 4900. Die Wirtschaft wird vor allem durch Handwerksbetriebe, die Forst- und Landwirtschaft und einige wenige größere Unternehmen geprägt. Eine Hochschule gibt es nicht, nicht mal eine weiterführende Schule. Um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln setzt das Amt auf die nahe A9. „Wir suchen derzeit nach neuen Wegen, um Bürger zu halten und Wachstumspotenziale aufzudecken“ berichtet Hemmerling. „Aber es ist schwer.“

In einer Studie aus dem vergangenen Jahr hat Pricewaterhouse Coopers mögliche Potenziale für den ländlichen Raum aufgezeigt. Unter anderem in den Bereichen Tourismus, Gesundheitswirtschaft, Energie und Lebensmittelproduktion sowie im Bereich ökologische Dienstleistung. Doch unter den gegebenen Umständen fällt es Amtsdirektor Hemmerling schwer wählerisch zu sein. „Wir sind für jeden dankbar, der kommt.“

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