Landeshauptstadt: Brandenburg fast Mittelmaß
Ergebnisse der Iglu-Studie / Brandenburg verbessert, dennoch viel Schatten: Lesemotivation fehlt, soziale Schere bei Lesekompetenz
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Am Ende der vierten Klasse können sich die Grundschüler in Deutschland mit ihren Leistungen international gut sehen lassen – nicht nur im Lesen. Das gilt auch für das Verstehen von Texten, für das Rechnen sowie für naturwissenschaftliches Wissen, wie die jüngsten Schulstudien Iglu (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) und Timss (Trends in International Mathematics and Science Study) erneut belegen. Doch werden die Viertklässler dann Jahre später als 15-Jährige bei PISA getestet, gibt es für Deutschland im weltweiten Vergleich den großen Einbruch. Und in Brandenburg?
Gestern nun erschien die Iglu-Grundschulstudie, an der sich 450 Viertklässler aus insgesamt 25 Grundschulen des Landes Brandenburg beteiligt haben. Das Fazit: Lesen und Textverständnis bereiten den Viertklässlern weiter Probleme. Sie belegen nur Rang 12 im Ranking der 16 deutschen Bundesländern, damit ist Brandenburg schlechtestes neues Bundesland. Einzig Schüler in Hessen, Berlin, Hamburg und Bremen haben schwächer abgeschnitten. Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) schätzte die Lage gestern realistisch ein: Die Ergebnisse seien kein Anlass zur Euphorie. Allerdings würden sie auch Mut machen: Denn die brandenburgischen Schüler haben sich im Vergleich zur Studie 2001 gesteigert.
Sie konnten sich bei Lesen und Textverständnis um 13 auf 540 Punkte steigern und liegen damit erstmals oberhalb des OECD-Durchschnitts. Allerdings haben sie im Bundesvergleich nur fast Mittelmaß, denn der Bundesdurchschnitt liegt bei 548 Punkten. „Entscheidend bei dem Erfolg ist nicht unser Platz im Ländervergleich“, sagte Rupprecht. Sondern die Verbesserung gegenüber der letzten Studie. „Unsere Grundschüler sind besser geworden.“ Nach dem Ländervergleich für PISA konnten die Schülerinnen und Schüler nun zum zweiten Mal „deutliche Leistungszuwächse“ verzeichnen. Nur Bayern und Bremen konnten noch mehr Punkte zulegen.
Seit die deutsche Kultusministerkonferenz Mitte der 90er Jahre entschied, sich wieder an der internationalen Schulforschung zu beteiligen, liegt inzwischen ein umfassendes Bild der deutschen Bildungslandschaft vor – aufgezeichnet in etlichen Studien. Anfang der 70er Jahre hatte sich die KMK von den Tests verabschiedet, weil man sich mit schlechten Ergebnissen nicht ständig am weltweiten Pranger sehen wollte. Heute schmücken sich die Kultusminister gern mit der deutschen Grundschule – im Land Brandenburg weniger.
Der Studie zufolge erreichte Brandenburg bei Lesemotivation und Leseverhalten relativ niedrige Werte. Die Anteile derjenigen Kinder, die außerhalb der Schule nie oder fast nie zum Vergnügen lesen, liegen in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Bremen signifikant oberhalb des deutschen Anteils, wie es hieß. Rupprecht sagte, dies bereite ihm Sorge. Rund 21 Prozent der befragten Kinder hätten angegeben, dass sie außerhalb der Schule nie oder fast nie zum Vergnügen lesen würden. Die Studie zeige auch, dass die Leseförderung durch das Elternhaus nicht ausreichend sei. „Das muss sich ändern – Elternhäuser und Schulen müssen die Kinder wieder zum Lesen motivieren.“ Laut Iglu gibt es zudem einen deutlichen Leistungsvorsprung von Kindern aus Familien mit mehr als 100 Büchern vor Kindern aus bildungsfernen Schichten, der bundesweit nur in Berlin und Hamburg größer sei als in Brandenburg. Diese Leistungsdifferenz sei gegenüber 2001 sogar deutlich gewachsen. Zudem habe Brandenburg mit über 16 Prozent den im Vergleich mit anderen deutschen Flächenländern höchsten Anteil von Schülerinnen und Schülern, die die Kompetenzstufe 3 nicht erreichen und damit zur sogenannten Risikogruppe zählen.
Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Ingo Senftleben, sagte, Grundlage der Fortschritte sei die gute Arbeit an den Schulen. „Dennoch wird deutlich, dass mehr Unterricht in den Kernfächern in allen Klassenstufen erteilt werden muss.“ Die Schüler bräuchten mehr Zeit zum Lernen und Üben.
Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Gerrit Große, betonte, Brandenburg liege deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. „Jetzt rächt sich die Rotstiftpolitik der Landesregierung auf Kosten der Kinder.“ Die Sprachförderung komme spät, es gebe zu wenige Erzieherinnen in Kitas, Grundschulklassen seien zu groß, bei Förder- und Teilungsstunden sei radikal gekürzt worden. „Wie zuvor schon die Pisa-Ergebnisse, zeigt auch die Iglu-Studie, dass leider auch in Brandenburg der Vorsprung der Kinder aus bildungsnahen Familien gegenüber Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern größer geworden ist.“
Ska Keller, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, erklärte, die Schüler in Brandenburg seien beim Lesen weiter unteres Mittelmaß. „Wer wie Brandenburg bei der Bildung Spitze sein will, kann sich ein solches Ergebnis nicht erlauben“, so die Landesvorsitzende. „Von der Priorität, die die Landesregierung der Schulbildung angeblich beimisst, ist hier nichts zu merken.“ Ska Keller bemängelte, dass das Land zwar viel Geld in den Ausbau von Leistungs- und Begabungsklassen steckt, „ die Grundschule aber nach wie vor unzureichend unterstützt.“
Bemängelt wird in Brandenburg der Leistungsunterschied von Schülern aus bildungsnahen Elternhäusern zu solchen aus bildungsfernen, er ist in Brandenburg nach Berlin und Hamburg am größten. Laut Iglu-International bekommt in Deutschland das Kind eines Arztes oder Rechtsanwalts selbst dann eine Empfehlung der Grundschule fürs Gymnasium, wenn es nur mäßige Leistungen erzielt. Ein gleichaltriges Kind aus der Unterschicht muss dagegen für eine solche Gymnasialempfehlung im Schnitt 77 Iglu-Leistungspunkte mehr erbringen, was dem Lernfortschritt von eineinhalb Schuljahren entspricht. Die Bildungsgerechtigkeit bleibt dabei auf der Strecke. Dabei kommt dieser schulischen Weichenstellung angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt immer mehr Bedeutung zu. Vom Bildungsministerium angeführte Maßnahmen wie die Verbesserung der frühkindlichen Förderungen gingen in die richtige Richtung, seien aber unterfinanziert. Kitas wie Schulen – insbesondere Grundschulen – müssten besser mit Personalmitteln ausgestattet werden. dpa/ddp/jab
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