zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Brieffreundinnen

Sigrid Furch und Bulka Kayadzhieva kennen sich seit dem deutsch-bulgarischen Schüleraustausch 1987

Stand:

Die Freundschaft von Bulka und Sigrid beginnt nach 40 heißen Stunden im Zug. Auf dem Bahnhof in Burgas am Schwarzen Meer. Deutschlehrerin Bulka Kayadzhieva steht dort zwischen ihren Schülern unter der brennenden Mittagssonne, um eine Potsdamer Kollegin und ihre 10. Klasse aus der Weinbergschule in Kleinmachnow zu empfangen. Fast 20 Jahre ist es jetzt her, dass Sigrid Furch mit rund 30 Teenagern in der bulgarischen Stadt aus dem Schlafwagen gestiegen ist – „total verschwitzt und eingeschwärzt“, erinnert sie sich heute an ihren ersten deutsch-bulgarischen Schüleraustausch.

Der Sommer 1987 war heiß, 40 Grad herrschten im Zug und kurz hinter Budapest war in der Bahn das Wasser ausgegangen: „Wir konnten uns zehn Stunden lang nicht mehr waschen“, erzählt Sigrid Furch. Bulka Kayadzhieva spendiert ihren Gästen aus der DDR erst einmal Limonade. Dann geht“s in ein Ferienlager am Strand. Zwei Wochen verbringen die Deutschen gemeinsam mit den Bulgaren, sonnen sich und baden, reden, singen am Lagerfeuer, besuchen die Sehenswürdigkeiten des sozialistischen Bruderlandes.

Besonders beeindruckt hat die damals 45-jährige Sigrid Furch die Disziplin der bulgarischen Jugendlichen. Sie seien regelmäßig marschiert. Und was sie fast noch mehr verwundert hat: Bevor sie den Speisesaal betreten durften, mussten sie ihre Hände in eine Schüssel mit Desinfektionsmittel tauchen und nach jedem Strandbesuch barfuß über eine antibakterielle Matte laufen. So genannte Hygiene-Schüler haben darauf geachtet, dass sich auch alle daran halten.

Zwei Jahrzehnte später sitzt die heutige Rentnerin auf der Wohnzimmercouch in ihrem Haus am Stern und spricht über die Freundinnen Bulka und Sigrid, die mehr als tausend Kilometer von einander entfernt ganz ähnliche Leben leben. Sie sind ungefähr gleich alt, hatten beide den gleichen Beruf, sind Mütter und mit einem Ingenieur verheiratet. Und sie erlebten den Realsozialismus samt Wende, jede für sich in ihrem Land. In vielen, vielen Briefen und ab und zu am Telefon haben sie sich von ihrem Alltag, ihren Sorgen und Freuden erzählt. Bulkas Post hat Sigrid Furch aufgehoben.

Dass sich die Frauen überhaupt kennen gelernt haben, verdanken sie einer anderen Begegnung: Der Vater eines Mädchens aus Furchs Klasse saß während einer Bulgarienreise zufällig im selben Zugabteil wie Kayadzhieva. Sie kamen miteinander ins Gespräch und sie erzählte ihm von ihrem Traum: ein deutsch-bulgarischer Schüleraustausch. Ungefähr ein Jahr später fand dieser dann statt – organisiert von Sigrid Furch und Bulka Kayadzhieva per Post. 1988 besuchten die Bulgaren auch die Kleinmachnower Schule – das letzte Treffen, denn nach der Wende wollten die Schüler der Weinbergschule lieber in den Westen reisen, nach Italien, England oder Amerika, erklärt Sigrid Furch.

Wieder gesehen haben sich die beiden Frauen trotzdem. 1999 besuchte Kayadzhieva Sigrid Furch und ihren Mann Klaus in Potsdam. Seitdem haben sie sich nicht mehr getroffen: Dabei wollten die beiden Ehepaare vergangenes Jahr zum ersten Mal gemeinsam Urlaub am Schwarzen Meer machen. Weil Kayadzhievos umgerechnet nur rund 50 Euro Rente monatlich bekommen, hatten Furchs das Hotel in Sveti Konstantin bezahlt. Acht Monate lang hatten sich die vier schon darauf gefreut. Doch zwei Tage vorher stürzte Bulka Kayadzhieva so schwer, dass sie sich am Kreuz verletzte. Sie war gerade dabei, für ihre Gäste Essen zu kaufen. Dabei wäre das nicht nötig gewesen, sagt Sigrid Furch: „Wir hatten mit Halbpension gebucht.“ Aber Bulgaren seien eben extrem gastfreundlich, Bulka habe ihre Freunde verwöhnen wollen. Stattdessen musste sie sechs Wochen im Bett liegen.

Trotzdem wurde es irgendwie ein gemeinsamer Urlaub. Sigrid Furch hat ihrer Freundin jeden Tag einen Brief geschrieben – vom Schafskäsesalat beim Mittagsbuffet, von den Gesängen im benachbarten Kloster, vom Besuch im Delfinarium. „Es war als wäre ich dort“, erzählt Bulka später in einem Brief, den sie dieses Mal nicht an Sigrid Furch sondern an die PNN geschickt hat, um sich für die viele Post von ihrer „treuen Freundin“ zu bedanken.Juliane Wedemeyer

Juliane Wedemeyer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })