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Steffi Pyanoe.

© A. Klaer

Kolumne PYAnissimo: Buonasera – alles unter Kontrolle

Als ich Wajih das erste Mal treffe, ist er seit knapp einem Jahr in Potsdam. Es ist nicht einfach, miteinander zu reden.

Stand:

Als ich Wajih das erste Mal treffe, ist er seit knapp einem Jahr in Potsdam. Es ist nicht einfach, miteinander zu reden. Er beißt sich gerade durch einen Sprachkurs, Deutsch ist schwer für einen Syrer. Das Handy ist sein wichtigster Übersetzer.

Ein halbes Jahr später steht er im Friedrich-Reinsch-Haus am Rednerpult und hält einen Vortrag über seine Heimatstadt Homs. In Deutsch. Die Zuhörer können mit der PowerPoint-Vorlage mitlesen, arabisches Kleingedrucktes, das mir genauso viel sagt wie ein Häuflein Krautsalat – oder eben Deutsch. Nicht fehlerfrei, aber ich bin beeindruckt: Während ich mich noch nicht einmal traue, beim Italiener „Buonasera“ zu sagen, hat Wajih sich an den komplizierten deutschen Satzbau getraut. Und einen ganz ordentlichen Wortschatz. Das Wort Flüchtling mag er aber nicht, sagt er. Vertriebener wäre ihm lieber, denn freiwillig sind sie ja nicht gegangen. „Mein Körper ist hier, mein Herz ist dort.“ Und im Übrigen sind sie doch alle Menschen. „Wir sind doch keine Außerirdischen aus dem Weltall!“

Die Menschen, die ihm zuhören, sind Potsdamer Nachbarn und Freunde, offensichtlich viele Syrer und mittendrin herzige russische Frauen. Das Gemurmel ist mehrsprachig – eine galoppierende Überfremdung. Eine Dame hat ihn wohl ganz besonders ins Herz geschlossen und verabschiedet sich so: „Pass auf dich auf. Und melde dich, wenn was ist.“ Er lacht. Ja, sie habe ihn quasi adoptiert. Ich ahne: Um ihn muss ich mir wohl keine Sorgen machen.

Auf dem Weg zum Bus komme ich an einer Handvoll Männer vorbei, die, nach dem Äußeren zu urteilen, mit Ausländern so ihre Probleme haben. Die nach ein paar Bieren Stöcke und Steine gegen das Fenster einer Wohnung schmeißen, ganz sicher nicht aus überbordender Sympathie. Ich wechsle feige die Straßenseite. Und fühle mich plötzlich selbst ziemlich überfremdet.

Probleme mit Überfremdung hatte ich genau genommen schon vor Jahren. Als die ersten Typen mit Tunnelohrringen wie die eines stolzen afrikanischen Kriegers und Blech an der Nase wie Bullenringe auftauchten. Ich gestehe, dieses Phänomen stürzt mich immer wieder in eine Identitätskrise. Und dann die Mädels in der Tram, 14-Jährige in fleischfarbenen Leggins oder zerrissenen Jeans, mit Zigaretten hinterm Ohr. Ihnen gegenüber sitzt eine modern gekleidete muslimische Familie, der sich vermutlich der Magen umdreht angesichts des Identitätspotenzials der neuen Heimat. Ich könnte es grad keinem erklären, was es ist, die deutsche Identität.

Wajih sagt, er will wieder zurück. Das Haus der Familie neu aufbauen. Bis es soweit ist, will er hier arbeiten als Elektriker. Aber weil er nur die Kopie, nicht das Original seines Gesellenbriefes aus Syrien hat, ist das nicht so einfach, er muss die Ausbildung wohl noch mal machen. Und ich denke: Es gibt also doch etwas, was typisch deutsch ist. Unsere Vorliebe für Ordnung, Stempel, Genehmigungen, Beglaubigungen. Nicht dass Wajih unbefugt eine Lüsterklemme irgendwo anbaut. Das hat Wajih schon kapiert. „Alles unter Kontrolle“, sagt er mir fröhlich zum Abschied.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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