zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Bürgel unter Beschuss

Historiker bezichtigt den Astronomen des öffentlichen Bekenntnisses zum Nationalsozialismus

Stand:

Der Schriftsteller und Volksastronom Bruno H. Bürgel ist 60 Jahre nach seinem Tod als angeblicher „Nazifreund“ unter Beschuss genommen worden. Die Salve gegen den Babelsberger Säulenheiligen wurde von Fritz Reinert in der Zeitschrift „Archiv Deutschland“ abgefeuert, die von der Bundeszentrale für Politische Bildung finanziell gestützt wird. Unter der Überschrift „Kein Kämpfer: Bruno H. Bürgel“ mit dem Untertitel „Politische Standpunkte eines Schriftstellers unter wechselnden gesellschaftlichen Bedingungen“ schreibt der Potsdamer Historiker, Bürgel habe ein „öffentliches Bekenntnis zum faschistischen (soll heißen: zum nationalsozialistischem) Regime“ abgelegt.

Die einstige Lehrkraft an der Babelsberger Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften, der Kaderschmiede für Stasi- und Staatsfunktionäre, versucht seinen Angriff mit Zitaten zu untermauern. Das gelingt ihm jedoch nicht wirklich. Allenfalls konnte er von Anfang/Mitte der 1930er Jahre einige Zitate Bürgels hervorkramen, in denen dieser ohne Nennung des Nationalsozialismus eine starke Führung für die „urteilslose Masse“ befürwortete. Wie viele Intellektuelle sei er von den Anfangserfolgen des NS-Regimes zunächst beeindruckt gewesen, habe aber schon bald dessen verbrecherischen Charakter erkannt, meint dazu Arnold Zenkert, der Bürgel-Biograf und langjährige Leiter der Bürgel-Gedenkstätte am Potsdamer Planetarium. Zenkert räumt ein, dass der Menschenfreund Bürgel, um seine Kampagne zur Volksaufklärung fortsetzen zu können, unter dem Druck der durch die Nazis gleichgeschalteten Verlage die Vorworte zu seinen Büchern „Vom Arbeiter zum Astronomen“ sowie „Menschen unterwegs“ und einige Textstellen geändert habe - aus heutiger Sicht ein fauler Kompromiss. Andererseits kann er jedoch reihenweise Beispiele dafür bringen, wie sich Bürgel, ohne Widerstandskämpfer zu sein, vom Nationalsozialismus distanziert hat. „Wenn ich nicht reichlich 60 Jahre auf dem Buckel hätte, würde ich dieses Hitlerdeutschland stehenden Fußes verlassen“, schrieb er an seinen Freund Richard Schumann. Und über Hitler: „Was habe ich mit meinem Lebenswerk erreicht, dass ich tatenlos zusehen muss, wie das deutsche Volk diesem Scharlatan ins Verderben folgt?“ An einen anderen Freund, den Zerbster Buchhändler Gast: „Unsere Befürchtungen über die Hitlerei Es ist viel schlimmer gekommen, als wir vermutet haben.“ Bürgel lehnte die Rassentheorie der Nazis ab und half verfolgten Juden.

Reinert weiß das, hat er sich doch in der Bürgel-Gedenkstätte gründlich informiert. Dennoch mindert er die Schärfe seines Angriffs nicht. Besonders kritisch sieht er, dass sich Bürgel nach 1945 weigerte, die umstrittenen Textstellen nochmals, nun auf Forderung der SED, zu ändern. Statt der Auseinandersetzung mit seinen NS-freundlichen Äußerungen habe er die Verdrängung gewählt. Das Buch der Fackelträger sollte 1946 nicht erscheinen, weil Bürgel „offensichtlich die historische Rolle der Arbeiterbewegung vernachlässigt hatte“, schreibt Reinert in blütenweißem SED-Propagandadeutsch. Nicht einmal der Leiter des SED-eigenen Dietz-Verlages habe den störrischen Bürgel zu einer „erkennbaren Läuterung“ veranlassen können, beklagt der Historiker, der wohl selbst noch im Dschungel von Verdrängung und Aufarbeitung steckt.

Er habe Bruno H. Bürgel nicht als Faschisten hinstellen wollen, erklärte Reinert gegenüber PNN. Ihm sei es darum gegangen, den Zwiespalt zwischen öffentlicher Zustimmung zum Nationalsozialismus und interner Kritik am Beispiel einer populären Potsdamer Persönlichkeit darzulegen. Darin hätten ihn jüngere Historiker des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) und der Uni Potsdam bestärkt. Arnold Zenkert hat nunmehr eine Entgegnung auf den Beitrag Reinerts verfasst. Deren Veröffentlichung wurde von der Redaktion „Archiv Deutschland“ abgelehnt. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })