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Landeshauptstadt: Burgunder für den Sprengmeister

Manuel Kunzendorf entschärfte Weltkriegsbombe neben dem Hauptbahnhof „wie geschmiert“

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Potsdam – Eine amerikanische Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg konnte gestern unweit des Potsdamer Hauptbahnhofes erfolgreich entschärft werden. Zu ihrem Schutz waren 5000 Potsdamer ab 8 Uhr aus ihren Wohnungen evakuiert worden. Der Potsdamer Hauptbahnhof wurde zu diesem Zeitpunkt geschlossen, tausende Reisende waren betroffen. Mehrere Ministerien und auch der Landtag auf dem Brauhausberg mussten geräumt werden. Während der Zeit der Entschärfung wurde der Zug- und S-Bahnverkehr am Hauptbahnhof unterbrochen. Die Evakuierung verlief weitgehend problemlos; lediglich ein Potsdamer habe sich Stadtsprecherin Regina Haack zufolge erst mittels einer Leiter von der Feuerwehr dazu bewegen lassen, seine Wohnung zu verlassen. 49 nicht gehfähige Personen wurden durch die Feuerwehr aus der Gefahrenzone gebracht; weitere 50 Potsdamer fanden in der Turnhalle der Peter-Joseph- Lenné-Schule am Humboldtring Aufnahme.

Um genau 11.06 Uhr erhielt Manuel Kunzendorf vom Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Brandenburg die Freigabe zur Entschärfung der 250-Kilogramm-Bombe. 43 Minuten benötigte der Fachmann für das Herausschrauben des Aufschlagszünders, unterstützt von seinem Kollegen Ralf-Ingo Buchholz. Um 11.49 Uhr konnte Kunzendorf das erfolgreiche Ende der Entschärfung melden. Die Bombe war am vergangenen Freitag bei Bauarbeiten neben dem Hauptbahnhof entdeckt worden. Da keine unmittelbare Gefahr von ihr ausging, war sie zunächst nur gesichert worden.

Kunzendorf und seine Mitstreiter sind in Potsdam längst keine Unbekannten mehr, denn 117 Bomben mussten in Brandenburgs Hauptstadt seit 1990 entschärft werden. Die Mehrzahl von ihnen wurden bei dem verheerenden Bombenangriff auf Potsdam am 14. April 1945 abgeworfen. 1752 Tonnen Bomben gingen auf Potsdam nieder. Die Zahl der getöteten Potsdamer gibt der Forscher Werner Mihan in seinem Buch „Die Nacht von Potsdam“ mit 1593 an. Bedeutende Baudenkmäler wie das Stadtschloss und die Garnisonkirche werden schwer beschädigt oder zerstört.

Für Kunzendorf war das gestrige Exemplar bereits die 560. Bombe, die er in seinem Berufsleben unschädlich machte. Der kaum angerostete Sprengkörper war bei Bauarbeiten auf dem ehemaligen Gelände des Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) in einer Tiefe von 1,20 Metern gefunden worden. Der Investor Theodor Semmelhaack baut dort ein neues Wohngebiet mit mehreren hundert Wohnungen. Die Entschärfung selbst verlief Kunzendorf zufolge „reibungslos“; der Zünder ließ sich „wie geschmiert“ entfernen. Allerdings habe für die Bauarbeiter die reelle Gefahr bestanden, dass die Bombe bei ihrer Entdeckung explodiert: Der intakte Zünder hätte auch nach 64 Jahren Liegezeit im Erdreich infolge einer stärkeren Berührung durch einen Bagger noch „sauber angesprochen“, sagte der 49-Jährige. 125 Kilogramm reiner Sprengstoff stecke in der Eisenhülle. Eine Signatur in der Bombe verriet Kunzendorf zufolge das Herstellungsdatum: „12/44“ – Dezember 1944.

Die entschärfte Bombe wurde mittels eines 1978 in Babelsberg gebauten Turmdrehkranes der Potsdamer Feuerwehr geborgen, in einen VW-Transporter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes verladen und dann in ein Zwischenlager nach Priort gefahren. Um 12.01 Uhr konnte der Verkehr in der Innenstadt wieder freigegeben werden. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bedankte sich bei Kunzendorf mit einer Flasche weißen Burgunder, trocken. Kunzendorf nahm das von ihm zunftgerecht als „Glasmantelgeschoss“ bezeichnete Geschenk gerne an.

Den 320 Mitarbeitern der Stadtverwaltung, die bei der Evakuierung halfen, erfreute der Oberbürgermeister anschließend auf dem Gelände der Berufsfeuerwehr in der Werner-Seelenbinder-Straße mit kleinen Schokoladenosterhasen. Der Verwaltungschef gab seinen Mitarbeitern zudem unter großem Beifall einen freien Nachmittag.

Nach Angaben des Kampfmittelbeseitigungsdienstes wurden von 1991 bis 2008 in Brandenburg 14 333 Bomben von mehr als fünf Kilogramm unschädlich gemacht. Schwerpunkte seien neben Potsdam Oranienburg, Cottbus und Neuruppin gewesen. Guido Berg

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