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Landeshauptstadt: Cannabis gegen Schmerzen? Mutmaßlicher Dealer ist schwer krank

Ronny R.* leidet an Multipler Sklerose.

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Ronny R.* leidet an Multipler Sklerose. Die Erkrankung des Nervensystems ist bei dem 34-Jährigen so weit fortgeschritten, dass er im Rollstuhl sitzt. Seine Lehre zum Gartenbau-Fachwerker musste er abbrechen. Inzwischen bezieht der Potsdamer eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Ist Ronny R. dennoch ein Rauschgifthändler, wie ihm vorgeworfen wird? Lagerte er 2011 in seiner Wohnung Am Stern Amphetamine, Cannabiskraut und Rauschpilze, um sie – zumindest teilweise – gewinnbringend zu verkaufen?

Seit Freitag beschäftigt sich das Amtsgericht mit einem außergewöhnlichen Drogenprozess. Der Angeklagte Ronny R. beteiligte sich am ersten Verhandlungstag nicht an der Aufklärung. Er schwieg auch zu dem wohl schwersten Vorwurf, am 1. Mai 2011 einem damals 15-Jährigen eine geringe Menge Cannabis verkauft zu haben. Allerdings machte er Angaben zu seinem Werdegang, sprach von einer normalen Kindheit, dem Abschluss der 8. Klasse und dem aktuellen Gefühl, „mittlerweile wie eine Action-Figur“ zu sein, der man „wahlweise Körperteile abnimmt“.

„Mein Mandant hat schreckliche Schmerzen“, ergänzte der Verteidiger. Um diese zu lindern, konsumiere er Cannabis. Die Medikamente, die ihm seine behandelnden Ärzte verschrieben, hätten allesamt nicht angeschlagen, die Qualen mitunter sogar verstärkt. Aus Sicht der Mediziner sei Ronny R. allerdings noch nicht so krank, dass ihm Morphine oder Opiate verordnet werden dürften.

Dem widersprach der medizinische Gutachter, der während des Prozesses auch die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagen prüfen soll. „Das Krankheitsbild ist mit gewöhnlichen Schmerzmitteln nicht zu lindern. Ich wüsste nicht, weshalb keine Opiate verordnet werden sollen“, führte er aus. Mit einer Milderung der Schmerzen durch Cannabis habe er wenig Erfahrungen.

„Mein Mandant wusste sich nicht anders zu helfen. Ist er deshalb zu verurteilen?“, fragte der Verteidiger. „Ich denke nein.“ Da ließ der Jurist wohl den Anklagepunkt des Drogenverkaufs an Minderjährige außer Acht. Auf diese Sache sei Ronny R. „nicht stolz“, räumte der Verteidiger auf Nachfrage des Gerichts ein. Die Großdealer, von denen sein Mandant den „Stoff“ beziehe, hätten gedroht, die Lieferung einzustellen, falls Ronny R. nicht einen gewissen Teil „verticke“. „Die sind mafiös organisiert, wissen, wo er wohnt und haben ihn auch schon erpresst.“

Vor Jahren hatte Ronny R. versucht, beim Bundesgesundheitsministerium eine Ausnahmeregelung zu erwirken, um stärkere Medikamente zu erhalten. „Von dort kam keine Antwort. Wir erhielten nicht einmal eine Eingangsbestätigung unseres Schreibens“, erzählte die Schwester des Angeklagten am Rande des Prozesses.

Der wird wohl umfangeicher als geplant. Der Staatsanwalt regte an, die Krankengeschichte des Angeklagten „tiefgründig zu eruieren“. Ronny R. erklärte sich bereit, alle behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, sofern sie aussagen sollen. Eine Entscheidung des Gerichts soll es nicht vor Mitte Dezember geben. (*Name geändert.) Hoga

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