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SAMSTAGScocktail: Charmebolzen (: der )

„Quark oder Mandel? Lauter kann ick nich schreien.

Stand:

„Quark oder Mandel? Lauter kann ick nich schreien. QUARK ODER MANDEL?“ Die ältere Frau, die sich an der Krapfenbude nicht schnell genug entscheidet, zuckt bei der Ansprache erschrocken zusammen, die Umstehenden schauen mitleidslos: Die Ärmste, wahrscheinlich von außerhalb! Von derlei Schroffheit lässt sich der Einheimische nicht beeindrucken! Alles eine Frage der Gewöhnung. Eine Frage der Einstellung, die es zu finden gilt, wenn ich im Bioladen die soeben erworbene Limonade aufmachen lassen will und statt eines Flaschenöffners die Antwort kommt: Das ist dann aber Bistropreis. Aber Sie sollen sie mir ja nicht bringen. Ist trotzdem Bistropreis. Ich trinke sie gleich hier, im Stehen. Bistropreis. Und wenn ich sie draußen auf der Treppe? Bistro. Vorm Geschäft ? – Wie kommt es, dass man sich schuldbewusst bedankt, wenn die Serviererin dem Kind statt des schwierig zu händelnden hohen Bechers („Watt flacheres wollnse? Noch flacher?“) einen frisch gespülten Teller fürs Eis bringt, das sich auf dem siebzig Grad heißen Untergrund binnen Sekunden in Sauce verwandelt? Liegt es tatsächlich an den militärisch gestählten Genen einer preußischen Vergangenheit, dass die Kellnerinnen auf mehrmaliges Winken hin jedes Mal mit entnervter Miene herangesprengt kommen und: „Was brauchen Sie noch?“ raunzen. Oder hat es mit einem unerforschlichen Geheimnis zu tun, damit, dass Servier- und Verkaufskräfte in Wahrheit allesamt und hinter verschlossenen Türen Performancekünstlerinnen oder Models sind, für die Pilotenausbildung sparen oder das Richteramt, und ihr täglich Werk nur eine Durchgangsstation ist? In dem Film „Hautnah“ fragt Julia Roberts, die eine Fotografin spielt, Natalie Portmann, was sie im Leben so tue. Portmann antwortet: Ich kellnere. Julia Roberts: Was Vorübergehendes? Darauf Portmann mit fester Stimme: Nein. Selten hat man auf einem Gesicht (dem von Julia Roberts) so viel logischen Respekt gesehen, ja Bewunderung.

Vielleicht hat der Grad des Charmes im öffentlichen Raum tatsächlich damit zu tun, ob der Betreffende an dem Platz ist, wo er sein will (Je bolziger, desto fehler am Platze). Aber vielleicht kenne ich auch bloß den Code nicht. Der Busfahrer macht Zeichen, und mir fährt der Schreck in die Glieder. Seine fragende Geste, ob ich noch mitwill, halte ich instinktiv für eine Drohgebärde. Ein Missverständnis, natürlich. Genauso wie in Wahrheit Zärtlichkeit mitschwang, als vor Jahren bei einem Konzert dem etwas schüchternen Sänger einer Band (natürlich von außerhalb) bei dem Versuch, Kontakt mit dem Publikum aufzunehmen, bloß der Ruf entgegentönte: Halt’s Maul und spiel weiter.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Ihr neuer Roman heißt „Selbstporträt mit Bonaparte“.

Julia Schoch

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