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Landeshauptstadt: Couch-Sharing im Iran

Drei Potsdamer wollen ihr Fernweh besiegen. Im Juli radeln sie los. Eineinhalb Jahre sind sie weg – oder auch länger

Stand:

Adam Sevens hat eine schöne Bleibe. Die Wohnung Clara-Zetkin-/Ecke Scholl- Straße ist wie geschaffen für seine junge Wohngemeinschaft. Das Haus unsaniert, der Quadratmeter billig, das Flair urban, ein Katzensprung der Weg zum nächsten Tram-Halt oder Biergarten. An der bordeauxroten Wand hängen Indien-Fotos, die jemand gemacht hat, der schon dort war. Adam Sevens ist 21 Jahre alt. Was soll er jetzt machen? Er sitzt in einem alten Oma-Sessel und trinkt Kaffee. Ihm gegenüber sitzt Aaron Christ und trinkt auch Kaffee. Erzieher sind sie nun beide von Beruf. Die Lehrzeit bei der Hoffbauerstiftung ist seit eben Vergangenheit. Als dritter im Bunde hockt Jacob Kaller, ein 26-jähriger Student der Erziehungswissenschaften, auf einem Schaukelstuhl und schaukelt. Hin und her. Hin und her. Die Fenster stehen offen, Frühlingswind zieht angenehm warm durch den Raum.

Aaron schaut zu Adam und Adam zu Aaron. Vor ihrer Tür steht die nächste Station, das Berufsleben. Teilt man die Vita in Schule, Ausbildung, Beruf und Rente ein, wäre das ja schon die vorletzte. Und das mit 21!

„Mein Arsch ist viel zu unruhig, mein Kopf ist sonstwo“, entfährt es Aaron. Es ist die beste Zeit, um abzuhauen. „Ja“, erwidert Adam: „Das letzte Mal frei sein!“ Irgendwann hatten sie einfach so rumgesponnen. Einer von ihnen sagte: „Wollen wir nicht mal nach Indonesien?“ Na ja, und so ist das in diesem Alter in dieser Zeit; auf die Frage „Wieso nicht?“ fällt einem so viel nicht ein. Sie haben einfach Lust, wie Aaron sagt, „etwas Naives in die Tat umzusetzen“.

Am 18. oder 19. Juli brechen sie auf. Sie nehmen nur mit, was die Fahrräder tragen können. Jacob kommt nach, er arbeitet nebenbei als Zirkuspädagoge und bestreitet vor der großen Tour noch eine kleine, Zittau, Neuruppin und Leipzig heißen die Stationen. „Wir treffen uns in Moldawien“, sagt er, im August oder September, in der Hauptstadt Chisinau. Der Student will zunächst ein Jahr mit dabei sein, vielleicht eineinhalb. Länger nicht, wegen des Studiums. Adam und Aaron lassen den Zeitpunkt der Rückkehr offen. Adam: „Die Wohnung wird aufgelöst. Wir fahren, so lange Herz, Verstand und Budget es mitmachen.“

Sein Erspartes bildet bei Adam die Rücklage, es für die Tour auszugeben ist er bereit. Das Geld in ein Haus zu investieren hat er keine Lust. „Ich kaufe damit Erfahrung“. Jacob hat auch etwa zurückgelegt. Aaron setzt auf Straßenzirkus, mit dem er sich über Wasser halten will, mit Clownerie, Musik, Jonglage. Mit auf die Reise gehen eine Gitarre, eine Ukulele und Tröten, das sind trichterförmige Hupen. Aaron hält es jetzt kaum noch auf dem Sessel, „toll, was man für Mucken machen wird mit anderen Menschen!“ Als Erzieher von Beruf sind sie auch gespannt darauf, welche Spiele die Menschen in anderen Ländern spielen.

Der Tourenplan steht so ungefähr fest: Es geht die Donau entlang nach Rumänien, Serbien, Moldawien, durch die Türkei, auf jeden Fall auch durch den Iran, was die jungen Männer, zum Anlass nehmen wollen, persisch zu lernen, wenigstens für „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ soll es reichen. Ob sie durch Pakistan kommen, ob Tibets Hauptstadt Lhasa und Nepals Hauptstadt Katmandu angesteuert werden, wollen sie „von den klimatischen und politischen Gegebenheiten“ abhängig machen. Über Indien führt die Tour weiter nach Indonesien. Für Aaron und Adam könnte es dann noch über Australien nach Neuseeland weitergehen. „Irgendwann ist die Route nicht mehr vorhersehbar“, sagt Aaron: „Der Weg ist das Ziel.“ Er stellt sich vor, nicht ständig zu fahren, sondern auch mal irgendwo zu bleiben. Auf einer Farm arbeiten, irgendwo ein „Winterlager“ aufschlagen, auf Zypern vielleicht oder in Syrien. Visa haben sie noch für keine einzige Grenze beantragt, für das nächste Land machen sie es immer im Land vorher. „Eineinhalb Wochen Bürokratie und dann gehts weiter“, sagt Adam. „Wir werden Erfahrungen mit Diktaturen machen“, überlegt Aaron.

Seit einigen Wochen sind sie dabei, sich gegen alles Mögliche impfen zu lassen einschließlich der „japanischen B-Enzephalitis“, eine Art Hirnhaut-Entzündung, die man sich auf indischen Reisplantagen zuziehen kann. Die drei Weltnebummler haben sich beim Tropeninstitut in Berlin und beim Hausarzt beraten lassen. Das Trinkwasser wollen sie mit Entkeimungstropfen reinigen; vor Malaria schützen sie sich mit Mückennetzen. Auf vieles, was der Outdoor-Markt für Abenteurer anbietet, verzichten sie. Das würde sie isolieren von den Menschen, die sie unterwegs treffen, sagt Adam.

Schlafen werden sie in dem Zelt, das sie mitnehmen. Oder auf der Couch von irgendjemandem. Aaron: „Wir setzen auf Gastfreundlichkeit“. Es gibt viele Internet-Seiten, auf der junge Leute ihre Couch als Schlafmöglichkeit für Reisende anbieten. Allein im Iran hätten sie 300 Couch-Sharing-Angebote gefunden.

Bei der Wahl der Fahrräder gehen sie etwas getrennte Wege, Jacob und Adam lassen sich von Bike-Herstellern sowie Rad- oder Trekking-Läden beraten und unterstützen. Aaron baut sich sein Vehikel selbst zusammen, Methode Freestyle, „kein Sponsoring“. Er nennt das entstehende Gefährt „mein kleines Punkrock- Fahrrad“ und versichert: „Es wird tüchtig sein.“ Natürlich hole auch er sich Rat für sein Rad. Jacob zum Beispiel weiß: „Auf die Felgen kommt es an.“

Auf diesen Felgen werden die drei ein Stück ihres Lebens verbringen. Aarons Mutter sieht es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Als sie in seinem Alter war, war ihr so ein Trip nicht möglich, „weil eine elende Mauer drum rumstand“. Aaron: „Sie gönnt es mir.“ Jakobs Eltern waren geschockt, unterstützen ihn aber sehr, „total lieb“, wie er sagt. Adams Vater hat ihm ein Survival-Buch geschenkt. Die Reaktion seiner Oma, als sie hörte, der Enkel wolle mit dem Fahrrad nach Indien: „Ach, das ist ja schön.“

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