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Konferenz über „Reisen um 1800“ an der Uni
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Sich auf Reisen zu begeben gehört zu den sinnlichsten Formen der Wissensaneignung. Erst recht wenn aus einer Reise ein längerer Aufenthalt und das Reiseziel zur temporären Lebensstation wird. Der Wissenschaft bietet der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) seit 60 Jahren die Möglichkeit, nicht nur fremde Länder kennenzulernen, sondern auch das eigene Verständnis in anderen Wissenschaftskulturen zu überprüfen.
Zurückgekehrt bringen eben diese weltgewandten und fremdheitserfahrenen Wissenschaftler Erfahrungen und Netzwerkverbindungen mit, die es zu nutzen gelte, hob Uni-Präsidentin Sabine Kunst in ihrem Grußwort zu einer Konferenz hervor, die auf Initiative des Vernetzungsprojektes ehemaliger DAAD-Lektoren unlängst in Potsdam stattfand. Dass Kunst inzwischen auch zur Präsidentin des DAAD gewählt wurde, gehört zu den überraschenden Fügungen, die sich während den Konferenzvorbereitungen ergaben.
Unter der weitgespannten Überschrift „Reisen um 1800“ befassten sich die Konferenzteilnehmer mit ihren eigenen Vorgängern. Denn vor 200 Jahren beschleunigte sich nicht nur die Entdeckung und Kolonialisierung der Welt, sondern auch ihre Erforschung. Reisen wurde, befördert durch modernere Verkehrsmittel, zu einer kulturellen Praxis, die in Reisebeschreibungen, Briefen und Romanen vermittelt wurde. An ihnen lässt sich ablesen, wie im Spannungsfeld einer sich globalisierenden Welt und eines expandierenden Europas die eigenen Kulturen sich zunehmend national definieren.
Im besten Fall führte das zur kritischen Selbstreflexion, befand Iwan Michelangelo D’Aprile. Die Reiseliteratur als „soziale Leitgattung der Aufklärung“ machte die „eigene Welt im Spiegel der bereisten Welt kritisierbar“. Mit Blick auf den Weltumsegler Georg Forster, der die heimliche Leitfigur der Tagung war, verwies D’Aprile auf diese doppelte Perspektive der Autoren, die sowohl Sprachen und Bräuche als auch gesellschaftliche Strukturen beschrieben und damit erst Kulturvergleiche möglich machten. Wenn der Berliner Publizist Friedrich Buchholz für die 1830er Jahre das Ende des europäischen Kolonialismus vorhersah, dann sei das keineswegs naiv gewesen, weil es sich nicht bewahrheitet habe, sondern zeige, dass schon damals die Ausbeutung fremder Kulturen kritisiert wurde.
Beinahe jeder Vortrag der Konferenz verwies auf die Unterschiedlichkeit gleichzeitiger Wahrnehmungen. Brunhilde Wehinger zeigte, dass sich die Liebe zu Italien in den Texten von Madame de Stael anders begründete als in denen von Stendhal. Herder wiederum konnte, so Ulrich Krellner, aus seiner Italienreise keine literarische Selbsterfindung machen wie vor ihm Goethe. Der Bildhauer Christian Ludwig Tieck kam erst gar nicht dort an und machte stattdessen in Frankreich Karriere, hatte aber, so Jürgen Joachimsthaler, immer nur sein Sehnsuchtsland im Kopf. Gänzlich zur Metapher, so Andreas Degen, sei der Vesuv in den Berichten derer geworden, die den von Seume als Maulwurfhügel bezeichneten Vulkan im Kontrast zu der ihn umgebenden Kulturlandschaft als Faszinosum besuchten.
Reisebeschreibungen verweisen immer auch auf ihren Autor. Sie zeigen bei genauer Lektüre dessen blinde Flecken und ideologische Vorannahmen auf. Zu nutzen gemacht hat sich das der Schriftsteller Caryl Phillips in seinem Roman „Cambridge“ von 1991, der anhand zweier Schicksale die Sklavenhaltergesellschaft der Karibik des 19. Jahrhunderts beschreibt. Tatsächlich ist der Roman, wie Lars Eckstein nachwies, ein Manuskript aus Reisebeschreibungen dieser Zeit. Mittels dieses literarischen Verfahrens würden nicht nur die Leerstellen der Berichte frappierend sichtbar, sie entwickeln auch eine dialogische Dynamik, die Rassismus in seiner bis heute anhaltenden Wirkkraft bloßstellt. Lene Zade
Lene Zade
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