Von Erik Wenk: Dancefloor neben „Aldi“
„Deutschland tanzt!“ gastierte in Potsdam – und bescherte dem Stern-Center eine ausverkaufte Nacht
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Am Stern - Es ist laut. Mehr als zehn Disc Jockeys – mit Namen wie DJ Jens, DJ Frank oder Capt’n Jägermeister & Friends – sorgen auf etwa einem halben dutzend Tanzflächen für Dauerbeschallung. Dazwischen locken geöffnete Bars und Eisdielen, wo wegen der fortgeschrittenen Stunde auch belegte Brote neben den Eiskübeln liegen. Im Stern-Center, wo sonst volle Einkaufswagen zum Auto geschoben werden oder an Schaufenstern vorbei gebummelt wird, haben am Samstag bei „Potsdam tanzt!“ tausende tanzwütige Füße den Boden zum Beben gebracht.
Ab 22 Uhr hat sich die Einkaufsmeile in eine gigantische Disko verwandelt. Das Überraschende dabei: Das Gedränge wirkt gar nicht so anders wie an einem normalen Werktag: Nur dass die „Kunden“ stehen bleiben um zu tanzen und schon Tage vorher bis zu 10,70 Euro Eintritt bezahlten. Mitten zwischen den Schallwellen lässt sich wie auf dem Mittelstreifen einer Autobahn beobachten, wie links und rechts das Partyvolk vorbeizieht. Diese ruhigeren Ecken werden vor allem von vielen Besuchern ab 40 aufwärts genutzt, denn der Anspruch von „Deutschland tanzt!“ eine Party für alle und jeden zu bieten, hat sich erfüllt: Frühergraute, die in Anzug und Abendgarderobe erscheinen sind fast so häufig vertreten wie stöckelbeschuhte Mädchen in flippigen Outfits. Auf Fanmeilen sei er zwar schon gewesen, „aber in einem Einkaufs-Center war ich noch nie in der Disco“, meint der 66 Jahre alte Erhard, der mit seiner Frau aus Teltow gekommen ist.
Der Public-Viewing-Effekt war es auch, den der Veranstalter „Koppetzki Event“ mit seinem „Centertainment“ erreichen wollte – „Deutschland tanzt!“ sei „a great marketing strategy“, wie es dazu auf der Webseite von Koppetzki Events heißt. Der Veranstalter, der schon Partys in Kornfeldern ausgerichtet hat, scheint mit dem 2008 eingeführten „Deutschland tanzt“ eine Mission zu verfolgen: An den mobilen Wänden einer Cocktailbar, die neben den geschlossenen „Tschibo“- und „Apollo Optik“-Filialen aufgebaut ist, prangen etliche Zitate des deutschen Lebenskunst-Philosophen Wilhelm Schmid, welche die Feier drum herum gewissermaßen zusammenfassen: „Für den, der mit allen Sinnen wahrnimmt, stellt sich die Frage nach dem Sinn kaum mehr“, ist da zu lesen. Und eingerahmt von Bacardi-Postern steht: „Vergeblich ist der Versuch, das Fehlen von Sinn mit materiellen Gütern zu füllen.“ Vielleicht ist ein bisschen philosophischen Überschreitung nötig, um dröge Einkaufs-Center in pulsierende Party-Tempel zu verwandeln.
Und nicht jeder fühlt sich rundum wohl. „Ich hoffe es wird noch voller, und dass die Musik ein bisschen besser wird“, meint Christiane aus Babelsberg. Das Konzept mit dem Einkaufs-Center findet die 18-Jährige zwar gut, „aber es ist ein bisschen schlecht gemacht, weil man immer verschiedene Floors gleichzeitig hört.“ In der Tat, aus der einen Ecke schallt Depeche Mode, aus einer anderen Neue Deutsche Welle, dann wieder wummernde Electro-Beats. Die Klänge verschmelzen; was gespielt wird, ist irgendwann sowieso egal, Hauptsache, ein in der Nähe stehender Lautsprecher animiert zur Tanzwut. Tags darauf werden nur noch Berge von Glasflaschen an das ausverkaufte Event erinnern, das es eine Nacht lang möglich gemacht hat, neben einem „Aldi“- oder „Blume 2000“-Schaufenster zu tanzen.
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