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Landeshauptstadt: Danke dem Gegner

Von Brandenburg aus ins Gefängnis? Die Potsdamer Tibet Initiative will einem von der Abschiebung bedrohten jungen Tibeter helfen

Stand:

Namgyal Sakhang hat in seiner Heimat auf tibetisch Forderungen wie „Freiheit für Tibet“ geschrieben, auf Plakaten, die er nachts an Hauswände klebte. Doch das kann nicht mehr der Grund sein, warum der 26-Jährige in China ins Gefängnis kommen und dort sogar gefoltert werden könnte. Denn er ist durch Flucht entkommen. Aber der junge Tibeter kann noch in China eingesperrt und gefoltert werden, weil der Sohn einfacher Leute nach Ansicht der Asylbehörde gar nicht in der Lage war, auf tibetisch „Freiheit für Tibet“ zu schreiben.

Die chinesische Polizei jedenfalls schien zu glauben, dass Namgyal Sakhang des tibetischen Schreibens mächtig genug ist, um „Freiheit für Tibet“ oder auch „Tibet den Tibetern“ oder auch „Religionsfreiheit für Tibet“ zu schreiben. Sie suchte den jungen Mann im Haus seiner Eltern und hätte ihn sicher auch mitgenommen, wenn sie ihn angetroffen hätten. Mutter und Vater rieten ihm zur Flucht; über halsbrecherische Himalaya-Pfade, vorbei an chinesischen Grenzern, die vor zwei Jahren weltweit Schlagzeilen machten, weil sie von rumänischen Bergsteigern bei der Ermordung einer flüchtenden 17-jährigen tibetischen Nonne gefilmt wurden, gelangte Namgyal Sakhang zunächst nach Nepal. Professionelle Schleuser brachten ihn weiter nach Deutschland. Seinen Asylantrag jedoch lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 26. Februar 2007 ab. Bei einer ersten Vernehmung hatte Namgyal Sakhang erklärt, er könne „nicht sehr gut“ schreiben. Vielleicht nicht einmal gut genug, um „Freiheit für Tibet“ zu schreiben?

Namgyal Sakhang legte Widerspruch gegen die Asylablehnung ein. Seit elf Monaten wartet er auf eine Anhörung. Für den Fall, dass er nach China abgeschoben wird, rechnet er mit seiner sofortigen Verhaftung. Weil er nicht bestreitet, die Plakate geschrieben zu haben. Und, weil er auch in Deutschland – siehe Foto – für sein Anliegen eintritt.

Scheu und eingeschüchtert sitzt der junge Tibeter in dem kleinen Potsdamer Innenstadt-Geschäft von Jens Freiberg auf einem Stuhl. Sein Blick ist entweder auf den Boden oder in eine unbestimmbare Ferne gerichtet. Freiberg will ihm bei seinem Asylantrag helfen, er leitet die Potsdamer Regionalstelle der Tibet Initiative Deutschland (TID). Angesprochen fasst sich der Tibeter, konzentriert sich und antwortet in deutscher Sprache, die er in den zweieinhalb Jahren Aufenthalt im Asylbewerberheim Brandenburg/Havel gelernt hat.

Namgyal Sakhang ist in seinem Dorf nicht zur Schule gegangen, sein Vater unterrichtete ihn. Er könne „nicht so gut“ schreiben wie ein studierter Mönch, habe er damals in dem Gespräch mit dem Asylentscheider gemeint. Nicht so gut etwa wie Tenzin Dudul. Der 39-Jährige ist im Unterschied zu Namgyal Sakhang nicht in Tibet geboren, sondern in der indischen Exil-Hauptstadt Dharamsala, dem Sitz des Dalai Lama, des geistigen und weltlichen Oberhauptes der Tibeter. Seine Eltern waren dorthin geflüchtet, nachdem China in der Zeit der sogenannten Kulturrevolution und des „Großen Sprungs“ das Territorium Tibets besetzte. Den am 10. März 1959 losbrechenden Volksaufstand der Tibeter schlugen chinesische Truppen blutig nieder.

Tenzin Dudul wurde zunächst Mönch und arbeitete später im Film- und Tonarchiv des Dalai Lama. Die Aufgabe, die das Leben ihm stellt, wie er sagt, ist es, in Deutschland durch Verkauf von Ton- und Bildmaterial Geld einzunehmen, um damit das Archiv in Dharamsala zu unterstützen. Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen, erklärt Jens Freiberg. Tenzin Dudul und seine Schwester sind die einzigen Tibeter, die derzeit in Potsdam wohnen. Ihr Ziel ist es, einen Verein Pro Tibet zu gründen, in dem sich Deutsche und Tibeter für eine kulturelle und religiöse Selbständigkeit Tibets einsetzen. Denn das ist das vom Dalai Lama verfolgte Ziel. Sie wollen keine Separatisten sein, sie wollen keine Unabhängigkeit, sondern einen Autonomie-Status innerhalb Chinas.

Jens Freiberg ist fasziniert vom tibetischen Buddhismus. Als Ostdeutscher erlebte er während der friedlichen Revolution von 1989 die Macht des gewaltlosen Widerstandes. Er sah die Mauer fallen, nun will er sich dafür einsetzen, dass auch das tibetische Volk seine Freiheit wiedererlangt. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im September 2007 den Dalai Lama im Kanzleramt empfing, war für ihn eine überragende Geste.

„Jeder Mensch hat Schmerzen“, begründet Tenzin Dudul den tibetischen Gewaltverzicht: „Wir denken an die Anderen.“ Hass wäre ein großes Problem für das künftige Zusammenleben. Trotz der vielen Jahre der chinesischen Besatzung glaubt Tenzin Dudul, dass der friedliche Weg erfolgreich sein wird. Eine Debatte in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung kommentiert Tenzin Dudul mit den Worten: „Man muss dem Gegner dankbar sein.“ Es ging darum, ob Potsdams Oberbürgermeister am 10. März als Zeichen der Sympathie mit den Tibetern am Stadthaus die tibetische Flagge hissen sollte. Klaus-Uwe Gunold von den Linken war dagegen, denn das würde „die außenwirtschaftlichen Interessen Deutschlands konterkarieren“. Auch wäre es „problematisch, wenn sich eine Stadtverordnetenversammlung zur Frage der Lage von Minderheiten äußert“.

Prompt fand der Antrag eine gute Mehrheit. Tibets Flagge wird gehisst.

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