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Von Kay Grimmer: „Dann hören wir eben einfach nur zu“

Die Wildwuchs-Streetworker betreuen seit zehn Jahren Jugendliche auf Straßen und Plätzen

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„Wir fahren nicht an die Ostsee zum gemeinsamen Urlaub und auch nicht zum Erlebnis-Segeln in die Karibik“, widerspricht Mirjam Kieser lachend dem Fernseh-Klischee des Streetworkers. Was die Projektleiterin der Wildwuchs-Sozialarbeiter und ihre sechs Kollegen seit zehn Jahren in Potsdam machen, ist bodenständige Arbeit vor Ort. Täglich ist mindestens ein Team in der Landeshauptstadt unterwegs – um Jugendliche dort zu treffen, wo sie sind: in ihren Stadtteilen, an ihren Treffpunkten. „Wir gehen auf die Jugendlichen zu, akzeptieren sie so, wie sie sind“, fasst die Projektleiterin Mirjam Kieser zusammen.

Das sorgt offenbar für Vertrauen bei der Zielgruppe. Bis zu 150 Jugendliche erreichen die sieben Streetworker pro Woche – sie reden, sie schlagen gemeinsame Aktionen vor, versuchen zu helfen und zu vermitteln. „Bei den Fahrten in die Stadtteile wissen wir nie, wen wir treffen und was passiert“, erzählt Sozialpädagoge Stephan Mertens. Auch der erste Kontakt ist situationsabhängig. „Ich gehe manchmal einfach mit einem Basketball auf eine Gruppe Jugendlicher zu, frage ob sie Lust haben, zu zocken – und dann wird zwei Stunden gespielt“, schildert Mertens. Erst danach kämen unter Umständen Fragen, wer man sei, was man mache. „Wir müssen uns auf die Regeln der Jugendlichen einlassen, denn wir treffen sie an ihrem Ort“, erklärt der Sozialpädagoge. „Manch ein Jugendlicher will gar nichts unternehmen, sondern freut sich, wenn wir einfach nur zuhören“, sagt Mertens. „Und dann hören wir eben nur zu.“

Taktiken wie diese führen dazu, dass die Wildwuchs-Streetworker dann auch in Probleme und Hilfegesuche der Jugendlichen eingeweiht werden. „Die Problemlagen unserer Klientel unterscheiden sich kaum von denen in anderen Städten“, so Stephan Mertens. Schulden, Rauschmittel- und übermäßiger Alkoholkonsum, Gewalterfahrungen gehörten auch in Potsdam zu den Problemfeldern. Doch Mirjam Kieser hat eine Besonderheit ausgemacht: Die verdeckte Obdachlosigkeit unter Potsdamer Jugendlichen werde „zu einem ganz, ganz großen Problem“. Im vergangenen Jahr suchten bei den Wildwuchs-Leuten 21 Jugendliche zwischen 18 und 24 Jahren Hilfe, weil sie nur noch bei Freunden übernachten und keinen festen Wohnsitz mehr haben. „Die Wohnungsnot in Potsdam und die hohen Mieten machen eine Vermittlung in eine neue Wohnung oder ein neues Wohnprojekt sehr schwierig“, erläutert Kieser eine Herausforderung für die kommenden Jahre.

Andere hat das Wildwuchs-Team bereits gemeistert – wie beispielsweise den Kontakt zu russischsprachigen Jugendlichen. Dank des ebenfalls russischsprachigen Streetworkers Waldemar Jungbluth konnten Freizeit- und Hilfsangebote ermöglicht oder vermittelt werden. Neben einem Kochkurs, regelmäßigen Fußballtrainings gründete sich im vergangenen Jahr auch eine Theatergruppe für die russischsprachigen Jugendlichen.

Erfolge wie diese wollen gefeiert werden, meinen die Wildwuchs-Streetworker. Am 1. Juni lädt das Team ab 17 Uhr deshalb aufgrund des zehnjährigen Bestehens zum Sommerfest mit Livebands, DJs und Grill auf der Aktionsfläche am Bassinplatz. Parallel verweist das Team auch auf eine Foto-Safari auf seiner Homepage: www.wildwuchs-potsdam.de.

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