Homepage: „Das Auge an der Wirklichkeit schärfen“
Der Filmregisseur Andreas Dresen über sein Filmstudium in Potsdam, Restriktionen und die Rückendeckung von Lothar Bisky
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Der Filmregisseur Andreas Dresen über sein Filmstudium in Potsdam, Restriktionen und die Rückendeckung von Lothar Bisky Herr Dresen, was fällt Ihnen als erstes aus ihrer Studienzeit ein? Lothar Bisky. Er war die prägende Person in meiner HFF-Zeit 1986 bis 1991. Bisky hat damals frischen Wind in die Schule gebracht, im Sinne von Glasnost und Perestroika. Es war die Öffnung der Hochschule nach innen und außen. Nach innen, weil die Studierenden die Möglichkeit bekamen, auch Stoffe zu verfilmen, die vorher undenkbar waren. Bisky hat sich dabei schützend vor uns gestellt. Nach außen insofern, dass es plötzlich verstärkt Kontakte zu Hochschulen in Westeuropa gab, Studenten plötzlich reisen konnten und internationale Gäste nach Babelsberg kamen. Eine schöne Zeit, weil es möglich war, ohne sich das Rückgrat zu verbiegen durch die Schule zu kommen. Die Wendezeit war an der HFF also schon spürbar? Sehr deutlich. Die Studenten haben den Raum, den Bisky geöffnet hatte, dankend genutzt. Das führte zu Filmen, die für die Schule damals neu waren. Es gab dann aber auch entsprechend Ärger. Zum Beispiel? Unter anderem wurden Filme von Andreas Kleinert mit Restriktionen belegt. Probleme gab es auch mit einem Film über einen Punk, der das Land verlassen wollte von Bernd Sahling. Oder mit einem Film über das vom Zentralrat der FDJ geplante Haus der Jugend, das nicht gebaut wurde. Riskant war auch ein Film über zwei Freundinnen, die eine in der FDJ, die andere in der Kirche. Sie hatten auch Probleme? Mit dem Dokumentarfilm „Was jeder muss...“ über einen jungen Mann, der bei der NVA den Grundwehrdienst leisten muss. Das sah natürlich nicht sehr rosig aus. Wir haben versucht, es realistisch darzustellen. Die Filme wurden im Herbst 1988 bei der Dokumentarfilmwoche in Neubrandenburg uraufgeführt. Es gab einen riesen Eklat, wir wurden zum Teil sogar beschimpft. Mir wurde Wehrkraftzersetzung vorgeworfen. Ich war vollkommen überrascht, ich hielt den Film für harmlos. Es gab keine geballte Systemkritik, gezeigt wurde nur ein Stückchen Realität. Ich hatte mich keineswegs als mutig empfunden. Wo lag das Problem? Wir hatten zum Beispiel das Einstudieren des Fahneneids gezeigt. Der Offizier steht vorne und sagt immer nur: „Lauter, lauter, noch lauter; einheitlicher, noch mal.“ Immer wieder die gleiche Schleife. Das kam natürlich recht absurd rüber und erregte Anstoß. Was waren die Folgen? Es gab immer größere Schwierigkeiten, die Filme aufzuführen. Bisky wollte so weit gehen, meinen Film zur Dokumentarfilmwoche in Leipzig zu zeigen. Wir haben den Film als Studenten dann aber zurück gezogen, um Bisky zu schützen. Wir wollten nicht unseren Rektor verlieren. Im Januar 1989 war der Ärger so groß, dass wir den Film gar nicht mehr zeigen konnten. Bisky sagte dennoch zu uns, wir sollen so weitermachen, er könne sich nichts besseres vorstellen, als dass seine Studenten Filme machen, die bis in die höchsten Kreise des Politbüros Aufsehen erregen. Ohne dass wir es merkten, musste er diverse Male wegen des Films ins Politbüro. Wenn er sich nicht für uns eingesetzt hätte, hätten wir nicht weiter studieren dürfen. Ihr schönstes Erlebnis aus der Zeit? Das Aufgehobensein in einer Gruppe mit einem gemeinsamen politischen Willen. Es gab damals an der HFF ein sehr starkes Wir-Gefühl. Das hatte ich von einer Kunsthochschule nicht erwartet, wo doch eigentlich jeder der Beste sein will. Es war auch eine sehr lustige Zeit, vor allem die Feiern im Studentenclub „Bratpfanne“. Die Studenten aus Berlin sind nicht, wie heutzutage, jeden Abend zurück gefahren, der Umweg mit dem Sputnik über Schönefeld war einfach zu aufwändig. So saßen dann abends alle im Club und haben gequatscht und gefeiert. Es gab aber auch unangenehme Seiten. Sicher, die Schule war schon ein Apparat, in dem man oft auch gegen Wände lief. Ein Teil der Dozenten war relativ verknöchert. Auch gehörten damals absurde Dinge zum Filmstudium: Sport, Marxismus-Leninismus, politische Ökonomie und Russisch standen auf dem Lehrplan. Beim Sport war ich oft der einzige, weil ich aus Schwerin kam und schon Sonntag abends anreiste. Die Berliner hingegen haben sich die Sportstunde Montag früh meist gekniffen. Das Studium fand damals noch dezentral in Babelsberger Villen statt. Ein Vorteil? Ein Vor- und ein Nachteil. Wir haben uns immer gewünscht, alle unter einem Dach zu sein. Andererseits hatten die Villen etwas familiäres, man bewegte sich in sehr kleinen Einheiten. Als ich das erste mal an die HFF kam, bin ich mit dem O-Bus glatt am Hauptgebäude, einer Villa in der Karl-Marx-Straße, vorbei gefahren. Ich hatte nach einem großen modernen Gebäude gesucht, in etwa so wie die HFF heute aussieht. Hat die damalige Atmosphäre eine bestimmte Art von Filmen hervorgebracht? Aus dem Hauptgebäude sah man direkt auf die Grenze, der Postenturm war uns von der Kantine aus immer vor Augen. Wir waren stark politisiert. Gut an der Ausbildung der HFF ist bis heute, dass fachspezifisch ausgebildet wird, nicht einfach Filmemacher sondern Regisseure, Kameraleute, Produzenten und so weiter. Die HFF steht auch durch ihren Namen „Konrad Wolf“ in der Traditionslinie eines sozialkritischen Blicks auf die Wirklichkeit. Wir hatten damals noch ein dokumentares Grundlagenstudium, jeder Student musste erst einmal sein Auge an der Wirklichkeit schärfen. Damit man nicht nur die Welt am Schreibtisch erschafft. Ich fand das anfangs lästig, ich wollte Spielfilme machen, mit Schauspielern arbeiten. Dann habe ich den Dokumentarfilm aber für mich entdeckt. Ich drehe auch heute noch Dokus und recherchiere die Stoffe für meine Spielfilme sehr ausführlich. Das ist eine Prägung aus Babelsberg. Es gibt also eine Kontinuität von ihrem NVA-Film bis zu Filmen wie „Halbe Treppe“, für den Sie den Silbernen Bären der Berlinale bekommen haben? Durchaus. Ich hole mir die Anregung aus der Realität. Auch war die Ausbildung an der HFF immer sehr solide. Filmarbeit sollte in erster Linie Handwerk sein, der Rest durch die eigene Individualität ausgefüllt werden. Mir hat die gute handwerkliche Ausbildung nach der Wende sehr geholfen. So war ich in der Lage, etwa in 24 Tagen einen Fernsehfilm zu drehen. Schwierig war dann aber, seinen eigenen Weg zu finden. Gefehlt hat an der HFF, dass man einen Stoß bekam, auch etwas anderes auszuprobieren. Wir waren in einer recht klassischen Art von Filmerzähltechnik befangen. Dass es tausend andere Möglichkeiten gibt, habe ich erst später in der Praxis realisiert. An welche Dozenten erinnern Sie sich? An Prof. Rabenalt, der Dramaturgie unterrichtet hat, sehr lebendig. Die dramaturgische Ausbildung ist bis heute für mich ein Fundament. Drehbücher zu lesen und zu analysieren ist eine eigene Kunst, wir haben das von Aristoteles bis zur modernen Filmkunst bei Rabenalt gelernt. Ein anderer wichtiger Dozent war Prof. Helmut Hanke, der Kulturpolitik unterrichtete. Hanke war anderswo in Ungnade gefallen und Bisky holte ihn zu uns. Er hatte seine eigene Art, uns provozierend auf unsere Anpassung hinzuweisen. Für diese Zeit eine absolute Erfrischung. Das hat uns politisch sehr geprägt. Wie verlief die Wende an der HFF? Wir haben alle versucht zu drehen, zu dokumentieren. Ein starker Eindruck, einen so umfassenden gesellschaftlichen Umbruch in so einem Mikrokosmos zu erleben. Ich habe später den Film „Stilles Land“ gemacht, da ist viel aus der Zeit eingeflossen. Etwa, wie wir in der vollen Kantine der HFF sitzen, im September “89. Jemand kommt an unseren Tisch, legt einen Zettel hin und sagt: „Lies dir das mal durch, das kannst du unterschreiben“. Es war der Gründungsaufruf vom Neuen Forum. Wir saßen zu viert an dem Sprelakat-Tisch und sind innerlich erblasst. Einerseits wusste man, dass man das unterschrieben muss, andererseits wusste man auch, dass dann das Studium vorbei sein konnte. Letztlich haben wir alle unterschrieben. Wir dachten uns, alle können sie ja nicht rausschmeißen. Man schützte sich in der Gruppe. Man wurde plötzlich mit den eigenen kleinen Ängsten, der Feigheit und dem Unmut konfrontiert, und hat dann in der Gruppe doch etwas gemacht. Sie haben damals auch gedreht? Ich habe mehre Dokumentationen in der Zeit gemacht. Wir wollten sogar nach Ungarn, um mit einer Flüchtlingsfamilie über die Grenze zu gehen, sie bis Gießen zu begleiten. Aber wir haben keine Visa mehr bekommen. Dafür haben wir versucht hier zu dokumentieren, was möglich war. Ein sehr bewegender Moment war, als Bisky vor der versammelten Studentenschaft die Vertrauensfrage gestellt hat. Er könne die Hochschule nur durch diese Zeiten führen, wenn er das Vertrauen der Studenten hat. Das bekam er dann auch. Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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