Ein Symposium zur Banalität des Bösen: Das Böse ist nicht verrückt
Nicht jeder, der in der Lage ist, einen klugen Gedanken zu formulieren, ist auf dem richtigen Weg. Das jedenfalls meint Bettina Stangneth.
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Nicht jeder, der in der Lage ist, einen klugen Gedanken zu formulieren, ist auf dem richtigen Weg. Das jedenfalls meint Bettina Stangneth. Die Philosophin und Journalistin hat alle verfügbaren Materialien zu dem Prozess über den Nazimörder Adolf Eichmann ausgewertet. Entgegen der Ansicht der Philosophin Hannah Arendt sei Eichmann durchaus „böse“ und recht intelligent gewesen, stellt Stangneth fest. Denn der Organisator der Judentransporte in die Konzentrationslager habe in vollem Bewusstsein um die Tragweite seines Handelns und aus tief empfundenem Judenhass heraus gewirkt.
Bei einem Symposium im Einstein Forum versuchten am Freitag Philosophen und Historiker dem „Bösen“ auf die Spur zu kommen. Ausgangspunkt war Hannah Arendts Schrift „Ein Bericht von der Banalität des Bösen“, die sie als Beobachterin des Eichmann-Prozesses 1961 geschrieben hatte. Wie alle anderen Journalisten auch habe sich Arendt von der äußeren Erscheinung Eichmanns während des Prozesses täuschen lassen, meint Stangneth. „Da saß ein kleiner dürftiger Mann, der Papiere sortiert in einem zu großen Anzug“, so Stangneth. Vor dem Prozess in Israel seien die Erwartungen sehr hoch gewesen. Auch der Staatsanwalt habe das Bild eines bösartigen Monstrums gezeichnet. Um so enttäuschender sei dann gewesen, dass der Angeklagte so gar nicht zum Bild des abgrundtief Bösen passen wollte.
Dennoch sei die These Arendts nicht falsch gewesen, betonte Susan Neiman. „Böses“ komme oft nicht spektakulär und furchterregend daher, sondern könne durchaus auch aus Gedankenlosigkeit geschehen. Ein Beispiel dafür sieht sie im Klimawandel. „Das ist eine Krise, die die Welt bedroht. Niemand hat aber böse Absichten, alle verfolgen nur ihre eigenen Interessen“, so Neiman. Das Böse könne in vielerlei Gestalt erscheinen: absichtsvoll, moralisch, aber auch naturgegeben oder gedankenlos.
Das gedankenlose Böse sah der Journalist Philip Gourevitch bei dem Genozid in Ruanda am Werk, der dort wahrscheinlich bis zu eine Million Menschen das Leben gekostet hat. Die Mörder hätten sich vielfach keine Gedanken darüber gemacht, als sie ihre Nachbarn erschlugen oder vergewaltigten. Der Befehl von oben hätte als Legitimation ausgereicht. Sei der erste Mord begangen, wäre der Damm gebrochen. Danach wollten die Opfer oftmals nicht die Todesstrafe für die Mörder. Es habe genug Unrecht gegeben, der Kreislauf der Rache müsse durchbrochen werden, meinten sie. Das sei die in Ruanda vorherrschende Meinung. „Das Böse ist nichts Externes außerhalb von uns. Wir wissen nicht, wie wir uns in so einer Situation verhalten hätten“, so Gourevitch.
Eichmann allerdings sei von der NS-Ideologie zutiefst überzeugt gewesen, so Stangneth. Hass auf Juden habe Eichmann nicht nur als Organisator, sondern auch als „intellektuell begabter Mensch“ in Seminaren vertreten. Im Prozess in Nürnberg allerdings habe der Mörder ein recht überzeugendes Schauspiel des unbedarften Befehlsempfängers geliefert. Seine Selbstdarstellung habe im damaligen Trend gelegen, denn in der Bundesrepublik hätten viele ehemalige Nazis noch oder wieder an Schaltstellen gesessen. Der nach Argentinien geflohene Eichmann habe sogar überlegt, wieder in die Bundesrepublik zurückzukehren, um hier eine Pension als Regierungsrat zu erhalten. Dabei unterstützte ihn ein Kreis von Altnazis, die ebenso wie Eichmann nach Argentinien geflohen waren. „Heute sieht das aus, als hätten die alle einen Knall, aber damals hatten sie einen Plan“, konstatierte Stangneth. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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