
© A. Klaer
Von Anne-Sophie Lang: Das bunte Leben
Starkult und Selbstinszenierung: Andreas Lehmann porträtiert seine Generation
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Stundenlang hat er auf dem Bahnhof gestanden und Züge fotografiert. S-Bahn, Güterzug, ICE – alles, was auf den Schienen vorbeiratterte, knipste der 16-Jährige mit seiner billigen Wegwerfkamera. Irgendwann, es waren wohl fünf Stunden, fragten ihn Beamte vom Bundesgrenzschutz, was er denn da mache. „Ich war wirklich extremer Bahn-Fan“, sagt Andreas Lehmann und muss lachen bei der Erinnerung an den Vorfall.
Seine Leidenschaft für Züge ist inzwischen abgekühlt. Aber die Fotografie, mit der ging es bei dem gebürtigen Cottbusser erst richtig los. 21 ist Lehmann heute, seine Motive keine Maschinen mehr, sondern Menschen; er fängt jetzt das bunte Leben ein, wie er es ausdrückt. Der Sinneswandel kam, als er, der sonst meist vor dem Computer saß, anfing, rauszugehen. Nicht mehr nur auf den Bahnhof, sondern richtig, auf Partys. Da findet der junge Fotograf reichlich Motive: „Betrunkene sind ziemlich lustig“, meint er und grinst. „Und irgendwer zieht sich eigentlich immer aus.“
Als er anfing, für lokale Zeitungen zu fotografieren, wurde das Hobby zum Nebenjob. Seine Party- und Konzertbilder sind Lehmanns Markenzeichen, aber auch als das Cottbusser Staatstheater brannte, war er da und knipste – als Erster. Um die 800 Bilder macht er pro Woche, schätzt der junge Mann. Auch Promis sind dabei. In Berlin fotografierte er bei einer Premiere Angelina Jolie. Ein Bild zeigt sie von hinten: Glänzende Haare, ein silberner Ohrring. Davor gespannte Gesichter, Handykameras. „Und da ist sie noch mal“, sagt Lehmann und deutet auf das Zeitschriftencover, das ein Fan der Schönen zum Signieren hinhält. Die Jolie vis-à-vis mit sich selbst – das Bild ist ungewöhnlich, es reizt dazu, genauer hinzuschauen.
Als er da am Roten Teppich stand, „da haben mir echt die Hände gezittert“, erinnert sich Lehmann. Er mag die Spannung. Paparazzo sein kann er sich gut vorstellen, sagt er. Aber allzu weit plant der junge Mann noch nicht. Nach einer Ausbildung zum Sozialassistenten macht er gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Landesjugendring und betreut den Jugendserver Brandenburg. 20 seiner Bilder zieren dort ab heute die Flure, großformatig und gerahmt. Er hat sie aus knapp 5000 ausgewählt.
Die Fotografie ist für Andreas Lehmann Passion und Arbeit zugleich. „Ich will am liebsten 365 Tage im Jahr arbeiten“, sagt er. „Wenn ich ohne Kamera unterwegs bin, kribbelt es mir in den Händen. Und Partys werden schnell langweilig.“ Über seine Ausstellung schreibt der 21-Jährige, sie gebe Einblick in die Lebenswelt junger Menschen von heute. Die ist vielfältig: Von einem Foto lächeln zwei Gogotänzerinnen in Felljäckchen und Hotpants, die Händen in den Hüften. Sie schauen nett, fast unschuldig. Ganz anders das Porträt eines Freundes: Eine leere Fabrikhalle, Metallschutt. Im Hintergrund ein massiver Silo, orange Farbe unter Rost, davor sitzend der Kumpel, mit Zigarette und einer lässigen Selbstverständlichkeit, als gehöre er dorthin.
Andreas Lehmann, der die Lebenswelt seiner Altersgenossen dokumentiert, fällt nicht auf in ihrer Menge: Kurze dunkle Haare, Kapuzenpulli, Jeans, Turnschuhe. Aber andere kennen ihn inzwischen über seine Bilder. Neulich hat ihm auf einer Party jemand ein Glas Wasser über den Kopf geschüttet – der hat sich wohl auf einem Bild nicht gefallen, vermutet Lehmann. Ganz so rabiat waren die Grenzschützer damals nicht. Die haben ihn einfach weitermachen lassen.
Ausstellung „Jugendkulturen“ bis zum 31. Juli in der Büroetage des Landesjugendrings, Breite Straße 7a.
Anne-Sophie Lang
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