Landeshauptstadt: Das dreifache „A“ der Abrahams
Groß Glienicker Kreis forschte über Leben und Schicksal ehemaliger jüdischer Mitbürger
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Groß Glienicke - Um es vorweg zu sagen: „Eine NS-Hochburg scheint Groß Glienicke nicht gewesen zu sein.“ Sonja Richter, die diese Erkenntnis ausspricht, ist 2007 in den Potsdamer Ortsteil gezogen. Da war sie bereits ausgebildete Historikerin, hatte aber Zeit und wollte forschen. Leben und Schicksal ehemaliger jüdischer Mitbürger wurde bereits in Dallgow-Döberitz und Berlin-Kladow nachgegangen, was lag näher, sich der Geschichte der jüdischen Berliner zu widmen, die in Groß Glienicker zumeist Wochenendhäuser errichteten. Nach dem Historiker-Motto „Grabe, wo du stehst“ forschte Sonja Richter im Internet, im Archiven und in Publikationen und war erfolgreich: „Aus nichts ist ein großer Hefter voll Material entstanden“. Am Anfang war ihr Einzelengagement, dann fand sich eine Gruppe geschichtlich interessierter Groß Glienicker, die sich zumeist bei Dieter Dargies trafen, dem Vorsitzenden des Groß Glienicker Kreises. Dieser ermöglichte schließlich mit Hilfe des Ortsbeirates den Druck einer Broschüre mit einer Auflage von 300 Stück. Titel: „Jüdische Familien in Groß Glienicke. Eine Spurensuche.“
Für Moritz Gröning und seine junge Familie ist Groß Glienicker Ortsgeschichte nicht abstrakt, sondern allgegenwärtig. Sie schlossen sich den Freizeit-Historikern an, weil sie ihre Zukunft in einem Haus verbringen wollen, dass eine jüdische Vergangenheit hat. Wer die Seepromenade entlangläuft, dem fallen sofort der leuchtend gelbe Traufkasten des Daches auf, die blaue Eingangstür, vielleicht auch die grünen Gitter vor den Fenster. Es ist ein farbenfrohes Haus, 1929 nach Entwürfen des Architekten Otto Block errichtet. Block hat auch die Villa Hagen in der Bertinistraße im Stil des Neuen Bauens umbauen lassen. Blocks Auftraggeber waren Anna und Adolf Abraham, eine jüdische Familie, die in Berlin das Unternehmen DRALA betreibt – „Dr. Abrahams Laboratorium für zahnärztliche Füllmaterialien“. Die Haustür in Groß Glienicke zieren drei große, übereinander stehende „A“ in Messing – Anna und Adolf Abraham. Ausführlich beschreibt Gröning in der Broschüre die Geschichte der Abrahams, die in dem Groß Glienicker Haus nicht nur ihre Wochenende verbringen wollte, sondern auch den Lebensabend. Daher ist das Haus nicht so klein, wie es von der Straße aus scheint; erst der Blick vom Garten ermöglicht die Erkenntnis, dass es sich um ein zweigeschossiges Haus mit großem Anbau für das Wohnzimmer und einer seitlichen kleinen Chauffeurswohnung handelt. Den Blick auf den von Karl Foerster und Hermann Mattern gestalteten Garten konnten die jüdische Familie jedoch nur wenige Jahre genießen. „Die ,Machtergreifung’ 1933 ändert vieles“, schreibt Gröning in der Broschüre. Bei einer Führung zeigt Gröning die blau gestrichene Blechverstärkung an der Haustür, die hochwahrscheinlich nach Akten von Vandalismus in der Pogromnacht am 9. November 1938 zum Schutz der Tür angebracht wurden. Am 3. März 1939 starb Adolf Abraham, er war herzkrank. Der Verfolgungsdruck auf Anna Abraham im Zuge der judenfeindlichen NS-Politik stieg von Jahr zu Jahr. Ein „Treuhändler“ verkauft die Berliner Firma zu einem viel zu niedrigen Preis. Bis 1940 blieb Anna Abraham das Groß Glienicker Haus, dann verkauft sie es – an Grönings Urgroßvater. Gröning, ein 36-jähriger Berliner Anwalt, versichert, dass es kein Arisierungsvorgang war, Grönings Urgroßvater war mit den Abrahams bekannt und bezahlte nach Marktwert. „Aber freilich“, sagt Gröning, „ohne die Nationalsozialisten hätten die Abrahams nicht verkauft.“ Im Zuge eines Restitutionsverfahrens einigte er sich 2001 mit der Schwiegertochter der Abrahams. Anna Abraham selbst wurde am 4. März 1943 in Berlin „abgeholt“ und am 17. März nach Theresienstadt deportiert. Die Gestapo teilt der Berliner Oberfinanzdirektion mit: „Die Jüdin Anna Sara Abraham, geb. Nathanson, zuletzt Berlin-Halensee, Georg-Wilhelm-Str. 12 wohnhaft gewesen, ist am 17.3. 1943 unter Nr.. 015607 abgewandert. Ihr vermögen ist dem reich verfallen.“ Am 18. Mai 1944 wird sie nach Auschwitz transportiert und dort für tot erklärt.
Gröning stellt sich nicht nur der Geschichte der Vorbesitzer seines Hauses sondern auch der denkmalsrechtlichen Anforderungen des Hauses, die enorm sind. Zu DDR-Zeiten war das Haus vom Defa-Regisseur Egon Günther („Lotte in Weimar“) und der Schriftstellerin Helga Schütz („Knietief im Paradies“) bewohnt. Gröning würdigt, dass Günther wohl bewusst war, in welch einem Kleinod er wohnt. War auch zu DDR-Zeiten an einer Restaurierung im Innern nicht zu denken, habe der Regisseur doch dafür gesorgt, dass kaum ein Teil der Art déco-Innenausstattung verloren ging. Gröning wird das Haus und später den Garten originalgetreu wieder herstellen – für nicht wenig Geld. Er könne sich vorstellen, an Architekturtagen sein Haus auch für Besucher zu öffnen. Das restaurierte dreifach „A“ an der Eingangstür kann jetzt schon jeder von der Seepromenade aus – und einen Augenblick denken an Anna und Adolf Abraham.
Fast noch spannender als die Forschungsergebnisse von Sonja Richter, Dieter Dargies und weiteren Groß Glienickern – darunter der pensionierte Geschichtsprofessor Christoph Kleßmann – nehmen sich die Geschichten über die Forschungserfolge aus. So wollte Dieter Dargies, ein Theologe, mehr wissen über Dr. Rudolf Leszinsky, die in der Seepromenade 63 ein Wochenendhaus besaß. Im Zuge seiner Recherchen fand Dargies zwei historische Personen mit dem Namen Rudolf Leszynsky, einen rabbinischen Gelehrten und einen Versicherungsdirektor. Es habe lange gedauert, bis der Groschen fiel, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. In einem Seminar an der Freien Universität Berlin traf Dargies einen Wissenschaftler, der regelrecht aufjubelte: „Endlich jemand, der sich für Rudolf Leszynsky interessiert “
Sonja Richter und Edda Weiß fanden im Zuge ihrer Archivsuche auch „politische Lageberichte“ des Groß Glienicker Amtsvorstehers an das Landratsamt in Nauen. Im Sommer 1935 klagt dieser darüber, dass die Groß Glienicker Gast- und Schankwirte, „noch immer glauben, nicht leben zu können, wenn sich bei ihnen die Juden nicht reichlich einstellen und denen nicht jede Annehmlichkeit bereitet wird“. Auch würden „christliche Wasserparzellenbesitzer“ immer noch an Juden verpachten. Ganz offenbar hatte die antijüdische NS-Hetze in Groß Glienicke nicht jeden Kopf verwirrt.
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