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Links und rechts der Langen Brücke: Das Dunkel erhellt

Sabine Schicketanz über symptomatischen Datenmangel und die Bekämpfung von Armut bei Kindern und Jugendlichen

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Der Vorgang spricht für sich: Die Stadtverwaltung lädt zur Pressekonferenz, auf der sie „Strategien zur Verbesserung der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen“ vorstellen will. Doch wie viele Potsdamer Kinder und Jugendliche leben in Familien, die auf Hartz IV-Gelder angewiesen sind? Wie groß ist ihr Anteil gemessen an allen jungen Potsdamern? Diese Fragen blieben zunächst unbeantwortet – die Zahlen konnten erst am nächsten Tag nachgeliefert werden. Nun ist klar: Jedes fünfte Potsdamer Kind bis zum Alter von 15 Jahren lebt von Hartz IV – 3486 von insgesamt 17 938. Dass es nicht sofort möglich war, den Ernst der Lage anhand von Datenmaterial zu untermauern, darf als Symptom bewertet werden: Dafür, dass die Bekämpfung von Armut bei Kindern und Jugendlichen offenbar noch am Anfang steht. Und dafür, dass es tatsächlich der öffentlichkeitswirksamen „Entdeckung der Unterschicht“ bedurfte, um auf die Lebensumstände dieser jungen Menschen aufmerksam zu machen. Sicherlich darf aus der Episode nicht geschlossen werden, die Stadt Potsdam tue nichts oder nicht genug für die benachteiligten Kinder. Dies wäre auch nicht richtig: Der „Sozialbericht 2004/2005“ widmete sich den Themen Armut und Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen in Potsdam. Damit wurde der oftmals im Dunkeln liegende Bereich bereits einmal erhellt. Auch die vorgestellten, bereits laufenden Maßnahmen erscheinen sinnvoll: Es wurden genügend Kindertagesstätten geschaffen, um 94 Prozent aller Potsdamer Kinder ab drei Jahren zu betreuen. Es gibt Modellprojekte wie die „Spielgruppe“, in der Eltern lernen können, Spaß am Umgang mit ihren Kindern zu haben – und ihre Verantwortung besser wahrzunehmen. Gerade wurde am Stern ein Eltern-Kind-Zentrum eröffnet. Der Übergang der Kinder von der Kita in die Schule ist begleitet von Gesprächen zwischen Erziehern und Lehrern – um Probleme schnell festzustellen. Für Jugendliche ohne Arbeit gibt es das Programm „Step by Step“, das für den Job fit machen soll. Geplant ist ein „Monitoring“ in Schulen: Die „Überwachung“ soll dafür sorgen, dass Schüler schon betreut werden, bevor sie vielleicht ihren Schulabschluss nicht schaffen, unbeachtet bleiben und in der Arbeitslosenstatistik wieder auftauchen. Gefordert hat Potsdams Sozialbeigeordnete darüber hinaus Sozialarbeiter für jede Schule und ein Recht auf Kitabetreuung für unter dreijährige Kinder von arbeitslosen Eltern. Hier liegt allerdings die Vermutung nahe, dass es zunächst bei Forderungen bleiben wird. Für die Kosten beider Maßnahmen müsste nämlich das Land aufkommen – und das dann in ganz Brandenburg. Doch wäre die Landesregierung gut beraten, die Forderungen ernst zu nehmen. Denn die „Unterschicht“ taucht als erstes ganz „unten“ auf: in den Kommunen. Diese müssen sich der Situation stellen – und sie mit Zahlen deutlich machen.

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