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Wieder oben. Handwerker richteten das Turmkreuz wieder auf.

© Andreas Klaer

Von Guido Berg: Das Flugblatt aus der Turmkugel

Eine Welterbe-Million kommt dem Bornstedter Friedhof zugute / Botschaft aus dem Jahr 1956

Stand:

Bornstedt - Im Jahre 1956. Ein unbekannter Handwerker schließt die Turmkugel des Bornstedter Kirchturmes. Unbemerkt und in letzter Sekunde lässt er ein kleines, beidseitig beschriebenes Flugblatt, nicht größer als eine Postkarte, zu den offiziellen Dokumenten gleiten. Die Papiere sind gedacht für eine Betrachtung in der Zukunft, die nun hereinbrach, als mit der Weltwirtschaftskrise ab 2008 die Notwendigkeit wuchs, die Konjunktur mit staatlichem Geld anzukurbeln. Das Konjunkturpaket I enthielt die Welterbe-Millionen, von denen die Kirchengemeinde Bornstedt etwas mehr als eine Million Euro erhielt; zum Ausbau der Trauerhalle und zur Sanierung des Kirchturms samt Turmkugel und -kreuz.

Als Handwerker Hagen Mehmel daher die Turmkugel im Zuge ihrer Sanierung 54 Jahre später wieder öffnete, fand er die Botschaft aus der Zeit des Kalten Krieges, das Flugblatt. Es stammt vom Ostbüro der SPD in Bonn. Unter der Überschrift „Die Freiheit marschiert“ heißt es dort: „In Polen und Ungarn vollziehen sich in diesen Tagen entscheidende Wandlungen.“ Im Juni 1956 waren im polnischen Posen die Arbeiter in den Streik getreten, der von der polnischen Armee niedergeschlagen wurde. In Ungarn erhob sich das Volk im Oktober und November gleichen Jahres gegen die kommunistische Diktatur. Die Niederschlagung durch sowjetische Panzer kostete 2500 Ungarn das Leben. Da der Ausgang des Volksaufstandes im Flugblatt-Text noch unklar ist, muss die Drucklegung also Ende Oktober erfolgt sein, vermutet der Historiker Dr. Matthias Rogg, Ehemann der Bornstedter Friedhofsleiterin Jutta Erb-Rogg. Der Kampf gegen „Ulbricht, Grotewohl und Co.“ müsse „ausschließlich mit politischen Mitteln“ geführt werden, heißt es im Flugblatt. Es war eine „absolute Hardliner-Zeit“, resümiert Jutta Erb-Rogg, die SPD in Bonn habe die Landsleute im Osten zur Ruhe aufgerufen, da sie sonst nur „zusammengeschossen“ würden. Wie es in Ungarn dann auch geschah.

Gestern nun wurde das erneuerte Turmkreuz wieder aufgerichtet und die Turmkugel mit neuen Botschaften in Zukunft versehen. Pfarrer Friedhelm Wizisla hat für die Bornstedter des Jahres nach 2060 – mindestens so lange wird das neue Schieferdach des Turmes halten, vermutet der Architekt Andreas Kitschke – einen Text geschrieben, der so beginnt: „Fast 21 Jahre nach der ,Friedlichen Revolution’ können wir in diesem Jahr einen wunderbaren Schritt vorwärts gehen in der Erhaltung des Weltkulturerbes in Bornstedt.“ Wizisla beschreibt die Lage der Bornstedter Kirchengemeinde, die von 513 Mitgliedern im Jahr 2000 auf jetzt 1064 Mitglieder angewachsen ist. Detailliert berichtet er über die Entwicklung des Potsdamer Nord-Raumes und die Geschichte des Welterbe-Areals Bornstedter Friedhof. Sein Text endet mit den Worten: „Sie werden diese Kartusche in einer anderen Zeit öffnen und diese Zeilen lesen. Ihnen wünsche ich, dass das Evangelium immer noch tragende Mitte für viele Menschen ist.“

Allein 240 000 Euro hat die Sanierung des Turmes gekostet. Weitere 190 000 Euro wird die Stabilisierung des ins Rutschen geratenen Säulenganges an der Ribbeckstraße verschlingen. Derzeit im Bau ist die Sanierung der von Ludwig Persius stammenden Trauerhalle und der Neubau eines Sanitärtraktes für die fünf Friedhofs-Gärtner. „Endlich“, frohlockt Friedhofschefin Erb-Rogg, könne sie ihren Angestellten und den Trauernden „ein Klo“ anbieten. Im September dieses Jahres werde die Trauerhalle eingeweiht.

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