Homepage: Das Glück ist ein Luftballon
Über das Glück und wie es zu erreichen ist
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Eineinhalb Stunden Glück reichen nicht aus, findet jedenfalls Marie-Luise Raters. Am Klavier spielt und singt die Philosophin im Bildungsforum Potsdam das Lied „Kauf dir einen bunten Luftballon“ aus dem Film „Der weiße Traum“ (1943). Ein Lied mit assoziationsreichem Text, offen für verschiedene Stimmungen und Interpretationen. Doch zum Glücklichsein reiche auch das nicht. Kino sei kein wirkliches Glück, sagt die Philosophiedozentin der Universität Potsdam. Denn wenn das Licht angehe, sei die schnöde Realität wieder da. Notwendig sei etwas Substantielleres.
Ohnehin sei der schöne Song vom Luftballon recht problematisch. Denn auch schöne Lieder fallen nicht vom Himmel, sondern werden in zeitgeistigen Zusammenhängen komponiert. Manchmal haben sie ganz andere Funktionen, als nur das Herz zu erfreuen. 1943 war der Zweite Weltkrieg in vollem Gange, die Schlacht von Stalingrad tobte und die Versorgungslage in Deutschland war auch nicht mehr die beste. Die Menschen froren in ihren kalten Wohnungen, das warme Kino war ein willkommener Aufenthaltsort. Der Film war ein großer Erfolg, das Propagandaministerium von Joseph Goebbels hochzufrieden. So konnten sich die Deutschen aus dem tristen Kriegsalltag kurz heraus träumen. Der „Flug ins Land der Illusion“, zu dem in dem Lied geraten wird, war offensichtlich gelungen.
Glück müsse nicht nur eine Illusion sein, meint Raters. Am Tempel des Apoll in Delphi, in dem auch das Orakel Pythia ihre Weissagungen verkündete, war der Spruch „Erkenne dich selbst“ angebracht. Das sei ein guter Ratschlag, denn nur wer einige Grundkenntnisse über sein eigenes Wesen habe, könne sich überhaupt darüber klar werden, wie Glück für ihn oder sie zu erreichen sei. Denn Glück sei eine recht individuelle Sache. Die universelle Glücksformel gebe es nicht, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Doch werde es mit dem Glück mit zunehmendem Alter immer komplizierter. Kinder seien häufig leicht zu begeistern und auch mit kleinen Sachen zu erfreuen. Bei den Erwachsenen sähe es dann schon anders aus.
Das Glücksversprechen im Kapitalismus hänge oft an der Anhäufung von Besitzständen: Auto, Haus, Schmuck, Kleidung. Das sei auch nicht unwichtig. „Basale Grundbedürfnisse müssen befriedigt werden“, stellt Raters fest, dazu zähle auch der Besitz. Wer gar nichts habe, befinde sich meist in einer recht misslichen Lage, die der herkömmlichen Vorstellung vom Glück widerspreche. Aber Besitz und Eigentum böten allenfalls eine oberflächliche kurze Befriedigung. Weiteres sei notwendig. Auch der Körper solle bestenfalls nicht schmerzen – Glück mit Zahnschmerzen sei schwierig.
Wenn aber diese Grundvoraussetzungen vorliegen, sei der Pfad zum Glück eröffnet. Denn es sei ein langer Weg, der zum Glück führe. Das hätten schon die altgriechischen Epikuräer erkannt. Die rieten zu Ataraxia, was so viel bedeutet wie eine nur durch mühsames Training zu erreichende Distanz zu den Dingen. Die führe letztlich zur Gelassenheit und sei nur durch Muße und einen realistischen Plan zur Erreichung des Glücks zu erlangen. Dann könne auch der Luftballon ein Glücksbringer sein. Schon Erich Fromm hatte erkannt, dass Glück nicht Haben, sondern Sein bedeutet. Die Freude am davon fliegenden Luftballon sei zwar flüchtig, aber der Moment des Loslassen als symbolische Befreiungsgeste durchaus tragfähig, so Raters. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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