Landeshauptstadt: Das „Juwel“: Die Lange Galerie
Abstruse Idee auf der Suche nach dem Bild der Stadt von morgen: Riesenriegel in der Stadtmitte
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Als sich Anfang der neunziger Jahre nach der Wende Architekten aus aller Herren Länder darüber Gedanken machten, wie das rudimentäre Potsdam in der Zukunft aussehen sollte, war manch gute Idee, die bis heute nachwirkt, darunter. Aber auch manch verrückte und realitätsfremde. Zu letzteren zählt wohl der als unsensibel anzusehende Vorschlag der Berliner Architekten Klaus Zillich und Wolfgang Engel vom Alten Markt bis zur Havel eine „Lange Galerie“ zu errichten.
„Die Stadtentwicklung Potsdams erfordert neue städtebaulich-urbane Strategien“, sagte Zillich auf einem Seminar, auf dem er im Jahre 1992 seine „Lange Galerie“ vorstellte. Ein „Masterplanprojekt“ sollte nach seiner Meinung die Defizite in der Potsdamer Mitte beseitigen. Erst 13 Jahre ist die Stadt in Vorbereitung auf den Bau des „Landtagsschlosses“, der 2008 beginnen soll, wieder soweit, wenn auch mit anderen Vorgaben.
Mit der „Langen Galerie“ strebten Zillich & Engel eine „bedeutende städtische Infrastruktureinrichtung“ an. Darüber hinaus wollten sie ein „großes öffentliches Bauwerk mit wichtigen Funktionen der Potsdamer Stadtkultur“ schaffen. An die Wiedererrichtung des Stadtschlosses verschwendeten sie dabei keinen Gedanken. Sie traten vielmehr mit dem architektonischen Anspruch an, zum Image Potsdams als Gesamtkunstwerk beizutragen. Dabei traten sie selbstbewusst auf und scheuten Vergleiche mit renommierten Großbauten des 20. Jahrhunderts nicht: „Durch ein architektonisches Meisterwerk unserer Zeit wie zum Beispiel die Sydney-Oper oder das Centre Pompidou in Paris soll das Image Potsdams als landschaftskünstlerisches Gesamtkunstwerk aktualisiert und wieder ins Bewusstsein gerückt werden.“ Die Architekten wollten ganz bewusst das „preußisch-militaristische Image“ mit einem modernen Werk höchster Qualität unterlaufen. Ihrer Meinung nach lebte nach der Wende dieses negative Image durch die Wünsche nach dem Wiederaufbau des Stadtschlosses wieder auf. Daher ihr Ziel: „Dem Gesamtkunstwerk Potsdam soll an exponierter Stelle ein neues, zeitgenössisches Juwel hinzugefügt werden, das dem Motto Schinkels, mit einigen wenigen aber vollkommenen Bauten dem städtischen Raum Rechnung zu tragen, entspricht.“
Das überlieferte Bild zeigt einen weit über hundert Meter langen dreistöckigen Bau mit abgerundeten Ecken, der vom Standort des Fortunaportals bis nahe an das Havelufer am Beginn der Langen Brücke reicht: Ein mächtiger Riegel, der die „Weststadt“ von der „Oststadt“ zu trennen scheint.
Und was sollte dieses Riesengefäß an Potsdams exponiertester Stelle aufnehmen? Die Aufzählung der möglichen Funktionen durch die Architekten wirkt wie ein Konvolut mehr oder weniger bezahlbarer innerstädtischer Nützlichkeiten und Unnützlichkeiten: Galerien, Ausstellungen, Museen, gehobenes Einkaufen und Markt, „Show-Rooms“ für High-Tech und Forschung, Bibliothek und Videothek, Computeranimation und Cyberspace, Tourismusbörse, Veranstaltungsort für Kongresse und Tagungen, Restaurants, Kneipen und Wintergärten und schließlich die Anlegestelle der damals noch städtischen Weißen Flotte. Insgesamt erinnert die Aufzählung an ein flach gelegtes Europa-Center wie es Anfang der sechziger Jahre in Berlin-Charlottenburg entstand.
Die Idee war zu abstrus und gigantisch, als dass eine Chance auf Umsetzung bestanden hätte. Zillich und Engel schafften dennoch den Einstieg in Potsdam. Sie entwarfen in Babelsberg den umstrittenen Weberpark und gewannen den ersten Überarbeitungsentwurf für das Potsdam-Center. Dieser war die Grundlage für den nun rechtskräftigen Bebauungsplan. Richard Röhrbein, Stadtbaudirektor i.R., urteilt heute darüber: „eine völlig unattraktive und unwirtschaftliche Flächen-Disposition mit sehr begrenzten Verwirklichungschancen.“ Diese Beurteilung hätte wahrscheinlich auch für die „Lange Galerie“ zugetroffen, wenn sie denn verwirklicht worden wäre.
Günter Schenke
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