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Landeshauptstadt: Das Kreuz mit dem Kreuzchen

Pfarrer Bernhard Schmidt sieht das Positive in den Dingen und das Christliche in jeder der Parteien

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Pfarrer Bernhard Schmidt sieht das Positive in den Dingen und das Christliche in jeder der Parteien Von Nicola Klusemann Er klagt nicht, zieht aus allem das Positive, so als sei alles göttliche Prüfung, die mit bloßem Gottvertrauen zu meistern wäre. Glaube versetzt bekanntlich Berge und Glaube rettet auch manchmal eine Kinderseele. Bernhard Schmidt ist 42 Jahre alt, Pfarrer der evangelischen Gemeinde Groß Glienicke, Ehemann und Vater von Pflegesohn Mike sowie dreier leiblicher Söhne: Jonathan, Anatol und Samuel. Samuel ist ein Nachzügler und kam doch zu früh auf die Welt. In der 27. Schwangerschaftswoche musste er geholt werden. Das war im April 2004. Die Lungen des Frühchens entfalteten sich wenig, nur 20 Prozent seines Atemapparats arbeiteten. Im Oktober erlitt das gerade aus dem Virchow-Klinikum entlassene schwache Wesen einen starken Rückschlag und wurde ins Klinikum „Ernst von Bergmann“ gebracht. Samuels Zustand verschlechterte sich von Stunde zu Stunde, auch die Ärzte hatten wenig Zuversicht. „Ich habe mein Kind dann notgetauft“, erzählt Bernhard Schmidt. Und der winzige Säugling überstand die Krise, „weil er getauft wurde“. Inzwischen lacht er seine Eltern an und hält mit ihnen intensive Zwiegespräche per Blickkontakt. Wegen eines Luftröhrenschnitts nämlich kann Samuel nicht sprechen. Das Bangen und Hoffen geht weiter. Tag und Nacht sitzt eine Krankenschwester am kleinen Bettchen und beobachtet jeden Atemzug des Kindes. Über das, was das Gesundheitssystem für sein Kind tut, kann Vater Schmidt nur staunen. Besonders angetan ist er von der Fürsorge, mit der sein Sohn in der Kinder- und Jugendklinik des „Ernst von Bergmann“ betreut wird. Auch seine persönlichen Erfahrungen mit der Gesundheitspolitik seien positiv. „Bis jetzt hat die Krankenkasse alles bezahlt.“ Und dafür ist er dankbar. Für ihn habe der Begriff vom „Generationenvertrag“ eine neue Dimension bekommen: Die Beitragszahler kämen für das jüngste pflegebedürftige Mitglied der Gesellschaft auf. Bernhard Schmidt hält sich für „keinen überaus politischen Menschen“. „Ich spreche hier auch als Privatperson und nicht im Namen der Kirche“, stellt er klar. Wenn er aber für seine Gemeinde kämpft, bezieht der vermeintlich Unpolitische aber doch Position. Als beispielsweise Groß Glienicke im Zuge der Gemeindegebietsreform in die Landeshauptstadt eingemeindet werden sollte, stellte er sich dagegen. „Wir gehören zum Kirchenkreis Falkensee und wollten deshalb mit Dallgow zusammengehen“, erklärt der Pfarrer. Dallgow aber habe sie nicht gewollt. Und auch wenn er nur eine halbe Pfarrerstelle habe, die womöglich aufgrund der Eingemeindung über kurz oder lang wegfallen könne, sei das mit Potsdam doch gar nicht so schlecht. Zwar habe Groß Glienicke seine politische Souveränität eingebüßt, seiner Kirchengemeinde habe es aber bisher nicht zum Nachteil gereicht. Die Potsdamer Denkmalpflege nämlich begleite die Sanierung der Dorfkirche engagiert mit. Bernhard Schmidt klagt eben nicht und zieht aus allem das Positive. Seine Sicht der Dinge ist theologisch. Bernhard Schmidt ist mit Leib und Seele Gottesmann. Dass er dazu berufen ist, fand der gebürtige Hallenser und Sohn eines Pfarrer schon sehr früh heraus. Zunächst aber wurde ihm das Abitur verwehrt. Er studierte dann Geige an der Leipziger Musikhochschule. „Das konnte man ohne Hochschulreife.“ Nach seinem Abschluss bekam er einen Vertrag als Konzertmeister am Theater in Rostock. „Als unsicherer Kandidat kam ich für ein Reiseorchester nicht in Frage.“ Bernhard Schmidt lernte am Theater einen Theologieprofessor kennen, der ihn sehr beeindruckte. Als seine Absolventenzeit auslief, verabschiedete er sich aus der Hansestadt, um 1987 in Berlin am Sprachkonvikt, einer quasi inoffiziellen kirchlichen Hochschule, ein Theologiestudium aufzunehmen. Nach der Wende wurde diese mit der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zusammengeschlossen. Weil Bernhard Schmidt in der Bundesrepublik als „verfolgter Schüler“ in der DDR galt, wurde ihm die Rückzahlung des BAföG-Darlehens erlassen. Als Verfolgter fühle er sich aber nicht. „Ich bin lediglich in meiner Ausbildung behindert worden. Wir wurden ideologisch bevormundet“, erklärt er. Es sei schwer gewesen, das, was er für die Wahrheit hielt, zu bekennen. Als habe er sich auch oft gefürchtet. Das häufige Sirenengeheul empfand er als permanente Kriegsbedrohung, von den Anschlägen bei den Olympischen Spielen 1972 in München befürchtete er, sie könnten den Dritten Weltkrieg auslösen. „Meine Eltern konnten mich kaum beruhigen.“ Mit dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges hoffte er, beginne eine Ära des Friedens. Ganz aufgegangen sei das nicht. Immerhin aber könnten seine Kinder in größerer Sorglosigkeit aufwachsen. Dafür haben sich andere Unwägbarkeiten eingestellt: Sozialabbau, drohende Arbeitslosigkeit und so weiter. Da sei man aber in Groß Glienicker noch in einer guten Lage. Bernhard Schmidt spricht von einem „saturierten Milieu“, in dem die nächste Generation hier aufwachse, obwohl die Gemeinde auch gerade zwei Ein-Euro-Jobber beschäftige. An ihnen sei ablesbar, wie schlecht es manchen Menschen gehe. Er sei Pfarrer geworden, um das Gute zu wahren. „Wir haben zwar das Paradies verloren und werden es auch nicht wieder erlangen“, sagt der überzeugte Lutheraner. Aber es gebe das Gute in jedem und „christliche Ansätze in jeder Partei“. So strebten die Sozialdemokraten und Sozialisten soziale Gerechtigkeit an, die Christdemokraten stünden für einen Wertkonservatismus, der gerade in der biotechnischen Debatte wichtig sei, die Grünen seien mit ihren ökologischen Programmpunkten Bewahrer der Schöpfung und die FDP stehe für individuelle Freiheit, ähnlich wie die Protestanten. „Wo ich allerdings am 18. September mein Kreuzchen mache, weiß ich jetzt noch nicht.“ Das entscheidet Bernhard Schmidt spätestens in der Wahlkabine.

Nicola Klusemann

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