zum Hauptinhalt
Immer bereit riefen die Thälmann-Pioniere zum Gruß. Wofür aber hatten sie gelobt, immer bereit zu sein? Antworten auf diese und andere Fragen zur Kindheit in der DDR gibt ein Workshop im Geschichtsprojekt des Malteser Treffpunkt Freizeit.

© Treffpunkt Freizeit

Von Antje Horn-Conrad: Das Land vor ihrer Zeit

Der Malteser Treffpunkt Freizeit wird für Grundschüler zum „Treffpunkt Geschichte“

Stand:

Wo beginnt Geschichte, wenn das eigene Leben gerade zehn Jahre zählt? Ist, was gestern war, schon Vergangenheit? Wie lange her ist das „Früher“, von dem die Eltern erzählen? Oder fängt Historie vielleicht erst bei der Oma an?

Im Malteser Treffpunkt Freizeit läuft seit kurzem ein ambitioniertes Geschichtsprojekt, das Grundschulkindern helfen soll, sich im „Damals“ zu orientieren und ein Gespür für zurückliegende Ereignisse zu entwickeln. Nicht mit dem Finger auf dem Zeitstrahl, nicht mit Büchern oder Jahreszahlen, sondern in ihrer konkreten Lebenswelt, in der Stadt, in der sie aufwachsen und mit den Menschen, die hier selbst einmal Kinder waren.

So wie es die jüngsten Bildungsstudien zeigten, war auch den Mitarbeitern des Treffpunkts in ihrer täglichen Arbeit aufgefallen, wie wenig die Schüler über die jüngere Geschichte wissen, erklärt Miriam Schneider die Beweggründe für das Projekt. Gemeinsam mit Potsdamer Experten, Historikern und Pädagogen hat die junge Erziehungswissenschaftlerin ein Programm mit Exkursionen, Zeitzeugengesprächen und Workshops organisiert. „Wir wollen mit den Sechs- bis 12-Jährigen in ihrer Stadt auf Spurensuche gehen“, kündigt sie an.

Weite Wege bräuchte man dafür kaum zurücklegen. Oft liege das Spannende ganz nahe, zum Beispiel im Treffpunkt selbst, dem einstigen Pionierhaus „Erich Weinert“. Die Kunsthistoriker Edda Campen und Andreas Butter haben die Baupläne des Hauses und alte Fotografien herausgesucht, um mit den Kindern das ihnen vertraute Gebäude neu zu entdecken. Interessante Fragen könnten dabei entstehen: Wie war das, in der DDR ein Kind zu sein? Was machte die Pionierorganisation? Und zu welcher Sache sollten die Schüler eigentlich „Immer bereit“ sein, wie sie es in ihrem Pioniergruß gelobten? Christopher Görlich, der sich am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung mit der Alltagskultur in der DDR beschäftigt, kann darauf in seinem Workshop detailliert Auskunft geben. Er will die Kinder mitnehmen auf eine Zeitreise zu ihren Altersgenossen in einem Land, das sie selbst nur aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern kennen.

Die Erfahrung, so Miriam Schneider, habe gezeigt, dass die Heranwachsenden zur Geschichte Gleichaltriger leichter einen Bezug fänden, auch wenn deren Kindheit weit in der Vergangenheit liege. Als unlängst die israelische Kulturwissenschaftlerin Orly Selinger im Malteser Treffpunkt aus Briefen jüdischer Kinder im „Dritten Reich“ las, sei in der Diskussion zu spüren gewesen, wie sehr die Schüler versuchten, sich in die unvorstellbare Situation der ausgegrenzten und gepeinigten Kinder hineinzuversetzen.

Eine ähnlich starke Wirkung erhofft sich die Projektleiterin von den Begegnungen mit Zeitzeugen, die von ihrer Kindheit im kriegszerstörten Potsdam berichten. Christopher Görlich wird bei einem Rundgang durch die Stadt zeigen, wo die Verwundungen noch immer sichtbar sind.

Die Workshops und Exkursionen, die als Projekttage in Sachkunde, Politische Bildung oder in den Geschichtsunterricht integriert werden können, gehen auf die unterschiedlichen Altersvoraussetzungen der Grundschüler ein. Während sich zum Beispiel die Jüngeren mit Illustrationen zu einem „Mauer“-Buch der deutsch-deutschen Teilung annähern, werden die Älteren vor Ort an der Glienicker Brücke den einstigen Verlauf der Grenze nachvollziehen und erfahren, wie es zum Mauerbau kam und was dies für die Menschen auf beiden Seiten bedeutete.

Generell macht das Geschichtsprojekt um schwierige Themen keinen Bogen, nicht um Nationalsozialismus und Holocaust, nicht um Krieg und Vertreibung und auch nicht um die Verfolgung politisch Andersdenkender in der DDR. Immer aber geschieht dies mit lokalgeschichtlichem Bezug und mit Personen, die den historischen Ereignissen ein konkretes Gesicht geben. Letztlich, so Miriam Schneider, dient das Projekt dem Verständnis von Demokratie, wenn die Kinder begreifen, dass dieses Gut keinesfalls selbstverständlich ist und immer wieder neu erarbeitet werden muss.

Eine Broschüre des Malteser Treffpunkts informiert ausführlich über die unterschiedlichen Workshops und Exkursionen, die je nach Bedarf der Schulklassen gebucht werden können. Am Ende des Projekts 2010 soll eine Ausstellung über die Geschichtserlebnisse der Kinder informieren. Studierende, die sich derzeit an der Universität Potsdam auf den Lehrerberuf vorbereiten, werden zudem Handreichungen erarbeiten, sodass einzelne Veranstaltungen später von den Lehrkräften in eigener Regie wiederholt werden können. Miriam Schneider will hierfür in der Stadt ein „Geschichtsnetzwerk“ von Experten, Referenten und Zeitzeugen aufbauen. Neben dem Zentrum für Zeithistorische Forschung, dem Deutschen Kulturforum Östliches Europa und der Universität hat sie hierfür auch das Potsdamer Filmmuseum gewinnen können, das DDR-Kinderfilmklassiker ins Gespräch bringen will. Mit „Sabine Kleist, 7 Jahre“, „Ottokar, dem Weltverbesserer" und „Moritz in der Litfaßsäule“ lässt sich mitunter leichter verstehen, wie es „Früher“ tatsächlich war, als die Eltern noch zur Schule gingen.

Kontakt: Miriam Schneider, Malteser Treffpunkt Freizeit, Am Neuen Garten 64, Tel. 50 58 60 23 und im Internet unter www.treffpunktgeschichte.de

Antje Horn-Conrad

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })