Von Henri Kramer: Das letzte Fest
Weihnachten im Asylheim am Lerchensteig: Ein Versuch der Normalität nach einem aufreibenden Jahr
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Es ist möglicherweise das letzte Weihnachtsfest im Asylbewerberheim am Lerchensteig. Und doch wirkt die Stimmung in der Caféteria des weiträumigen Flüchtlingdorfes wie immer zu diesem Anlass: Der Weihnachtsmann mit angeklebten Bart wird bejubelt, die bunten Geschenkpackungen aus seinem Leinensack sorgen für strahlende Kindergesichter, Plätzchen liegen einladend auf festlich gedeckten Tischen. Ein Versuch der Normalität nach einem aufreibenden Jahr.
Denn noch nie hat es an dem Standort der Arbeiterwohlfahrt (Awo) solch harsche Kritik gegeben, wie in den vergangenen Monaten – ausgerechnet während sich der Sozialverband mit dem Lerchensteig erneut bei der Stadtverwaltung um die Unterbringung von in Potsdam lebenden Flüchtlingen bewarb. Die Mängelliste, vor allem von den Grünen und der Wählergemeinschaft Die Andere, war lang: Das Asylheim liege viel zu abschüssig, die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel sei miserabel. Das daneben gelegene Klärwerk stinke. Und sowieso sei es dem Gedanken der Integration abträglich, Flüchtlinge nur an einem Standort zu konzentrieren. Schließlich folgte der Eklat nach der Ausschreibung für Asyl-Unterkünfte: Nachdem die Stadt der Awo vorgeworfen hatte, als einziger Bewerber ein „unwirtschaftliches“ Angebot vorgelegt zu haben, zog Wohlfahrts-Chefin Angela Basekow die Reißleine. Zum 30. Juni nächsten Jahres soll der Lerchensteig nun schließen. Gerade verhandeln Verwaltung und die Diakonie darüber, ob es ein neues Heim in der Waldstadt geben kann. Details gibt es kaum.
Auch im Asylheim ist die Debatte bekannt – und wird auf Nachfrage unterschiedlich bewertet. Wenn es Kritik gibt, fällt sie moderat aus. Die 14 Jahre alte Elmera aus dem Iran hätte beispielsweise nichts gegen einen Umzug, weil ihr Schulweg dann möglicherweise weniger aufwendig wäre. Jetzt benötigt das Mädchen noch knapp eine Stunde. Ihre Mutter nickt: Die Anbindung in die Stadt sei problematisch. Ähnlich geht es ihrem Altersgenossen Hussein aus dem Libanon. „Hier ist es schon langweilig, die Stadt ist viel zu weit entfernt“, sagt der 14-Jährige. Wenigstens aber seien die Fahrten mit dem Bus umsonst.
Anders ist die Stimmung bei den Awo-Mitarbeitern vor Ort. Hier herrscht hinter vorgehaltener Hand großer Frust über die Diskussion, die auch als Affront gegen die eigene Arbeit empfunden wird. „Viele Kritiker waren seit Monaten nicht hier oder noch nie“, heißt es . Die Debatte habe Unsicherheit vor Ort erzeugt. Ebenso herrscht Skepsis über das bis jetzt noch nicht veröffentlichte Angebot der Diakonie – wie etwa soll der Übergang verlaufen? Und vor allem, wo genau in der Waldstadt soll die neue Wohnlösung für die Flüchtlingsunterbringung stehen? Passiert so etwas wie Ende der 1990er, als eine Asylunterkunft in der Kirschallee nach massiven Bürgerbeschwerden aufgeben musste? 158 Menschen sind zurzeit am Lerchensteig untergebracht. „Die abgelegene Lage hat auch Schutz gebracht“, heißt es. Aus Angst vor drohendem Jobverlust fallen solche mahnenden Worte nicht: Würde das Heim schließen, sollen dessen Mitarbeiter laut Awo an anderen Stellen eingesetzt werden. Der Gedanke dürfte sie trösten.
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