
© Christoph Freytag
ZUR PERSON: „Das macht mir Angst“
IHK-Chefin Fernengel und HVBB-Präsidentin Genrich über Staus in Potsdam, die Probleme im Tourismus und eine bessere Kooperation der Händler in der Innenstadt
Stand:
Frau Fernengel, Frau Genrich, Nuthestraße, Zeppelinstraße, Berliner Ring. Überall gibt es derzeit Baustellen und Staus auf den Straßen. Wie erleben Sie die Verkehrssituation in Potsdam?
Fernengel: Das ist eine Katastrophe. Wir haben jetzt schon Probleme und das wird noch schlimmer, denn überall entstehen neue Ansiedlungen, wie in Fahrland, Krampnitz, im Bornstedter Feld und auch auf dem Campus am Jungfernsee. Die Leute kommen immer schlechter von A nach B. Deshalb fordern wir die Verbesserung der Infrastruktur und eine weitere Havelbrücke. Auch die Vorstellungen zur einspurigen Zeppelinstraße gehen nicht. Das macht mir Angst. Nein, im Ernst: Wir machen uns große Sorgen, denn es wird Unternehmen geben, die sich zurückziehen aus Potsdam. Es kann ja nicht jeder Betrieb seine Mitarbeiter vom Hauptbahnhof abholen lassen. Diese Probleme stellen sich für alle Firmen immer mehr.
Die Havelspange ist aber kein aktuelles Thema, oder?
Fernengel: Ich halte das nicht für abwegig. Ich bin auch ein naturverbundener Mensch, aber ohne eine weitere Entlastung wird es nicht gehen.
Genrich: Das Problem besteht jetzt und nicht in 15 Jahren. Je mehr Zuzug da ist und um so größer Potsdam wird, desto schwerer wird es, überhaupt noch in Potsdam mit dem Auto zu fahren. Eine ordentliche Baustellenkoordinierung wäre notwendig. Das hat die Stadt in der Hand. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, fahren die Menschen doch gleich mit dem öffentlichen Nahverkehr nach Berlin zum Einkaufen.
Es gab zuletzt auch Sorgen um eine Verramschung der Brandenburger Straße.
Fernengel: Hier gibt es sicherlich noch Potentiale. So müsste es endlich einheitliche Öffnungszeiten geben, obwohl wir dies natürlich nicht erzwingen können, denn die Unternehmerinnen und Unternehmer müssen das schlussendlich selbst entscheiden. Zudem ist der Internethandel für die Branche ein großer Einschnitt. Laut aktuellen Studien werden bis 2020 einige Geschäfte schließen müssen. Damit muss man sich jetzt beschäftigen.
Wie kann man das Geschäft innovativer gestalten?
Fernengel: Der Einkauf muss ein Erlebnis werden. Wir als IHK sind bereit, die AG Innenstadt zu unterstützen.
Genrich: Der Innenstadt-Handel lebt vor allem von Touristen. Dabei wird die Innenstadt noch viel zu wenig vermarktet. Wir brauchen eine Marketingstrategie. Hier sollten wir eine Initiative starten. Nicht jeder für sich, sondern alle gemeinsam. Das betrifft die Gestaltung, die Blumenkübel, eine andere Möblierung, Sauberkeit. Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Die Haptik ist für viele Verbraucher wichtig. Und es müssten an Samstagen kleine Events stattfinden, keine großen.
Was hat sich in den vergangenen Monaten in dieser Richtung getan?
Genrich: Ich bin sicher, hier wird sich der neue Vorstand der AG Innenstadt stärker positionieren müssen. In diesem Jahr fanden so gut wie keine Events statt. Auch ich habe dieses Jahr das erste Mal seit 20 Jahren nichts gemacht. Die Händler müssen erkennen, dass nur bei gemeinsamen Veranstaltungen die Kunden kommen.
Würden denn öffentliche Fördermittel die Situation verbessern?
Genrich: Eine Anschubfinanzierung wäre durchaus hilfreich. Das gab es ja bei der Modemesse Potsdam Now auch.
Warum gibt es noch kein frei zugängliches Internet in der Innenstadt?
Genrich: Stimmt, das ist unerlässlich, ein virtuelles Kaufhaus, in dem jeder seine Waren und Dienstleistungen anbietet. Eine gemeinsame Online-Präsenz könnten wir durchaus schon haben.
Fernengel: Das wollten wir auch den Händlern vorschlagen. Viele Geschäfte haben noch keine Internetseite. Dabei ist das Interesse bei den Händlern durchaus da. Die IHK ist bereit, hier zu unterstützen, denn es gibt hier bereits unser Modellprojekt in Pritzwalk
Wann ist es soweit mit dem virtuellen Kaufhaus?
Genrich: Das soll in absehbarer Zeit angeschoben werden, um den Händlern eine gemeinsame Plattform zu bieten.
Gibt es denn einen neuen Stand in der Diskussion um Sonntagsöffnungszeiten?
Genrich: Wir Einzelhändler wollen eigentlich nur behandelt werden wie jede Gaststätte um die Ecke und unsere Öffnungszeiten selbst bestimmen. Mit den vom Ministerium vorgeschlagenen sechs verkaufsoffenen Sonntagen sind wir nicht einverstanden. Das Mindeste ist eine Harmonisierung mit Berlin, wo an zehn Sonntagen geöffnet werden darf.
Fernengel: Aber auch das ist nicht mehr zeitgemäß. Das Internet ist schließlich sieben Tage und 24 Stunden verfügbar – und die Auslieferung zunehmend auch.
Entwickelt sich die Brandenburger Straße zu einer Fressmeile?
Genrich: Wenn es eine kultivierte Fressmeile wäre, würde es natürlich die Kunden anziehen. Es kommt auf das Sortiment an. Es darf nicht nur Imbiss sein. Darauf haben wir als Handelsverband oder AG Innenstadt aber leider keinen Einfluss, weil jeder Vermieter selbst entscheidet.
Seit Anfang des Jahres ist das Problem bekannt. Was hat sich seitdem verändert?
Fernengel: Es stagniert.
Genrich: Es tut mir schon weh, wenn bei Geschäften, die schließen müssen, danach nichts Anspruchsvolleres nachkommt. Auch die Vermieter sollten auf die Qualität der Geschäfte achten.
Könnte man nicht alle Tourismusbereiche zusammen vermarkten, also auch das Holländische Viertel?
Fernengel: Natürlich. Das gilt bis nach Babelsberg.
Genrich: Ja, es gibt nur eine Innenstadt. Auch die Friedrich-Ebert-Straße gehört dazu. Die Quartiere müssen einfach besser vernetzt werden. Alles ist nur einen Steinwurf entfernt. Woran es in Potsdam fehlt, ist das engere Miteinander der Betroffenen. Ein gutes Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Handelsverband und IHK wäre das Levandowski-Festival für synagogale Chormusik am 19. Dezember. Seit drei Jahren findet es nun erstmalig auch in Potsdam statt, im Veranstaltungssaal der IHK.
Was kann die Stadtverwaltung tun, um die Zusammenarbeit zu stärken?
Fernengel: Vielleicht sollte man alle erneut an einen Tisch holen, gern in der IHK. An dem Runden Tisch könnte man sich dann austauschen und neue Ideen entwickeln. Das Geheimnis ist Kommunikation und keine Einzelaktion. Und das muss besser werden. Wir haben jetzt zwei Arbeitsgemeinschaften, in der Innenstadt und im Holländischen Viertel. Das sollte es nicht geben, die sollten zusammenarbeiten. Nennen wir es doch „Runder Tisch Handel, Wirtschaft, Innenstadt“.
Sie fordern also einen Runden Tisch zur Innenstadt?
Genrich: Ja, wir haben doch gar keine andere Chance, als zusammenzuarbeiten.
Davon hängt doch letztlich auch ab, ob Karstadt in Potsdam bleibt, oder?
Genrich: Über die Bedeutung von Karstadt brauchen wir nicht lange zu reden. Es ist von großer Bedeutung. Wir werden und wir müssen alles dafür tun, dass die Rahmenbedingungen stimmen. So wäre es schön, wenn es noch ein oder zwei größere Anbieter gäbe. Aber das Platzangebot durch die kleinen Läden gibt das nicht her. Das rechnet sich nicht für die großen Firmen.
Haben wir in drei Jahren noch Karstadt?
Genrich: Ja! Nicht ohne mein Karstadt!
In diesem Jahr sind ja eine ganze Reihe von Festen ausgefallen wie etwa das Tulpenfest. Was ist los in Potsdam?
Genrich: Selbst die größten Potsdam-Aktivisten – und ich bin einer – haben sich in diesem Jahr zurückgehalten. Eine wachsende Stadt ist kein Selbstläufer. Das kann sehr schnell kaputtgehen. Wir alle können das verhindern.
Was meinen Sie damit?
Genrich: Nun wir wissen, die Toplagen wie etwa der Alexanderplatz in Berlin funktionieren. Auch die Nahversorgungszentren sind nicht gefährdet. Aber am schwierigsten sind die Mittellagen. Wenn wir ehrlich sind, ist Potsdam eher ein Mittelstandort. Deshalb müssen wir ganz besonders aufpassen. Wir brauchen mehr Qualität, nicht Quantität. Wir müssen alles tun, um die Innenstadt zu stärken.
Auch beim Tourismus ist Potsdam derzeit führungslos, seitdem die Ausschreibung für die TMB-Tochter gescheitert ist.
Fernengel: Ja, die Ausschreibung ist nicht ganz so glücklich gelaufen. Jetzt werden die Karten aber neu gemischt. Die große Gefahr ist, dass wir uns in den vergangenen Jahren auf den Erfolgen ausgeruht haben. Die Schlössernacht schwächelt, die Biosphäre ist bedroht. Ganz große Aufgaben stehen hier an. Wer immer den Tourismus übernimmt, wird die Arme hochkrempeln müssen. Wir wissen auch, dass die Tourismusabgabe noch nicht vom Tisch ist. Viele Händler und Gastronomen profitieren vom derzeitigen Tourismus-Boom in unserer Stadt.
Genrich: Wir müssen uns überlegen, wie wir besser werden können. Seit Jahren wird die Schlössernacht immer nach dem gleichen Konzept durchgeführt. Es waren fühlbar weniger Veranstaltungen. Ja, es war auch schön in diesem Jahr, aber nicht für 48 Euro. Ein positives Beispiel sind dagegen die Musikfestspiele. Die lassen sich jedes Jahr ein neues Thema einfallen. Die Vielfalt macht es.
Haben Sie eine Flasche Sekt aufgemacht, als bekannt wurde, dass das Stern-Center nun doch nicht ausgebaut wird?
Genrich: So kleinkariert sind wir nun wirklich nicht.
Aber sie haben sich doch gefreut, oder?
Genrich: Wieso sollen wir uns denn freuen? Es war doch klar, dass das Sterncenter ein Facelifting brauchte. Und das findet jetzt statt. Ich finde, das Center und die Innenstadt sind eigentlich auf gleicher Höhe.
Das Gespräch führte Stefan Engelbrecht
Beate Fernengel (49) ist seit dem 21. Mai 2014 Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Potsdam. Zuvor hatte sie als Vize-Präsidentin die Kammer ein halbes Jahr kommissarisch geführt. Sie ist Mutter zweier Söhne, hört gerne mal Heavy-Metal-Musik und besucht Kunstausstellungen.
Karin Genrich (70) ist Präsidentin des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg und Erste Vizepräsidentin des Handelsverbands Deutschland. Seit Jahren engagiert sie sich in der AG Innenstadt und ist Inhaberin einer Boutique in der Jägerstraße. Genrich ist verheiratet, hat einen Sohn und einen Enkel. sen
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: