zum Hauptinhalt

ZUR PERSON: „Das Mittelalter hat ein schlechtes Image“ Prof. Heinz-Dieter Heimann über Hürden bei der Entstehung das brandenburgischen Klosterbuches

„Ein reflektiertes Mittelalterbild fehlt im Land Brandenburg“ „Das Mittelalter lebt in der Öffentlichkeit gern von Klischees“

Stand:

Herr Prof. Heimann, über das von Ihnen mit herausgegebene zweibändige „Brandenburgische Klosterbuch“ haben Sie gesagt, es sei beispielhaft wie es entstanden ist, aber nicht beispielgebend. Was meinen Sie damit?

Diese Art von Forschung ist eigentlich als ein Langzeitprojekt zu organisieren. Vergleichbare Projekte haben an wissenschaftlichen Akademien dann eine Laufzeit von acht bis zehn Jahren, nicht vier Jahre wie beim „Brandenburgischen Klosterbuch“. Hinzu kommt die Situation, dass hier im Land Brandenburg der Kreis derer, die mit diesem Thema vertraut sind, nicht vergleichbar ist mit wissenschaftssozialen Umständen etwa im Rheinland oder in Südwestdeutschland. Das allein machte es schon schwierig, so ein Projekt mit mehr als 70 Autoren zu organisieren.

Aber was spricht gegen Schnelligkeit in der Forschung?

Mein Maßstab ist, dass man nicht von den vier Jahren ausgehen kann: In dieser Zeit ist ein solches Projekt unter normalen Bedingungen nicht zu realisieren. Ich will dabei nicht die Arbeit am Klosterbuch als besonders leistungsstark und vorbildlich für wissenschaftliches Management herausstreichen. Dass in dieser kurzen Zeit das Klosterbuch in dieser Qualität entstehen konnte, liegt in der Verantwortung vor allem einzelner Mitarbeiter in der Redaktion, die massiv auf den eigenen Vorteil und auf das berufliche Weiterkommen verzichtet haben. Das geht weit darüber hinaus, was man unter ehrenamtlichem Engagement oder Interesse an der Sache versteht. Das wird in Teilen ja schon für normal gehalten. Insofern war diese Schnelligkeit nur durch persönliche Verluste zu erreichen – das ist eigentlich ein Armutszeugnis für die Wissenschaftspolitik.

Welche Ursachen hat das?

Vor allem liegt es daran, dass 80 Prozent der Drittmittelfinanzierung in die Forschung über das 20. Jahrhundert fließen. Bei aller Berechtigung der Arbeiten meiner Kollegen in der neueren Geschichte. Es besteht ein Ungleichgewicht in der Wahrnehmung von historischen Räumen und Vergangenheiten, auch universitätsintern.

Warum hat es das Mittelalter so schwer?

Das Mittelalter hat ein schlechtes Image. Da ist der Raubritter, da ist das finstere Mittelalter, diese negativen Klischees dominieren das Allgemeinbild. Und das Mittelalter lebt in der Öffentlichkeit gern von den Klischees. Das Magazin „Der Spiegel“ macht regelmäßig auf mit Bildern vom vermeintlich dunklen Mittelalter. Deshalb wäre es wissenschafts- und kulturpolitisch wichtig, wenn wir uns einen selbstverständlicheren Umgang mit dieser Epoche aneignen.

Sehen Sie die Universitäten in der Pflicht, mehr mittelalterliche Geschichte jenseits von den Klischees zu verbreiten?

Ich sehe das wie eine Wegekreuzung. Wenn wir auf die Wissenschaftspolitik schauen, werden deutschlandweit an vielen Universitäten Personalstrukturen im Bereich der mittelalterlichen Geschichte und der traditionell mit ihr eng verbundenen Landesgeschichte abgebaut. Es gibt da aber einen Gegentrend. Die Bürger interessieren sich seit mindestens zwei Jahrzehnten stärker für das Mittelalter. Sie gehen in die großen Ausstellungen, beispielsweise über „Europas Mitte um 1000“ oder im vergangenen Jahr über das Heilige Römische Reich. Doch zu oft wird dieses Interesse nur als touristischer Faktor verstanden. Mein Anliegen ist, dass man sich von dieser touristischen Sichtweise löst und dem Interesse der Bürger, der Nachfrage nach einem reflektierten Mittelalterbild nachkommt. Darum gehen die Leute ja in Ausstellungen. Sie wollen Mittelalter erleben und verstehen. Und dafür braucht es eine wissenschaftliche Begleitung. Aber mit der derzeitigen Hochschulpolitik ist das nicht zu machen.

Sie sprechen die Personalprobleme an der Universität Potsdam an.

Ich habe Verständnis dafür, wenn das Land sagt, wir haben nicht mehr Geld. Aber ich sehe durch mein Engagement in der Bischofsresidenz Ziesar, ich sehe in Magdeburg und anderen Bundesländern, dass es eine verstärkte Nachfrage nach einem reflektierten Mittelalterbild gibt. Und da fehlt es im Land Brandenburg, aber auch von Seiten der Universität an einer entsprechenden Unterstützung.

Wie sieht die aktuelle Situation in Ihrer Fakultät aus?

Von der Personalausstattung sind wir am Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters schlicht und einfach unterbesetzt. Während andere Professuren über mindestens 1,5 Mitarbeiterstellen verfügen, habe ich nur eine. Uns fehlt strukturell für diese Eckprofessur eine halbe Stelle, was auch bedeutet, dass ich, anders als die Kollegen, keine Möglichkeit habe, den wissenschaftlichen Nachwuchs angemessen zu fördern.

Auf der einen Seite die Lehre an der Universität, die Sie unter erschwerten Bedingungen erfüllen müssen, und auf der anderen so ein Projekt wie das Klosterbuch. Wie schaffen Sie das?

Da verdanke ich den Projektmitarbeitern eine ganze Menge. Es gehört ein sehr diszipliniertes Arbeiten dazu. Man muss dazu Vertrauen aufbauen und viele Türklinken in die Hand nehmen. Und natürlich gibt es auch das fachliche Verständnis bei bestimmten Leuten, die mich in meinem Anspruch wie ich mittelalterliche Geschichte im Land sehe und vermittle, unterstützen.

Können Sie diese Hilfe eigentlich zurückgeben?

Natürlich habe ich auch eine persönliche Verantwortung gegenüber denjenigen, die an dem Klosterbuch mitgewirkt haben, ihnen weiterzuhelfen, nachdem sie mir geholfen haben. Und so hoffe ich, dass mit dem Klosterbuch auch Veränderungen in den Personalstrukturen möglich werden. Mehr denn je muss ich mir sagen: Es reicht; so nicht weiter! „Ausbeutung“ des Nachwuchses ist verantwortungslos. Wann kommen wir zu sachlich adäquaten Strukturen auf dem weiten Feld brandenburgischer Landesgeschichtsforschungen?

Vielleicht muss in Sachen brandenburgischer Landesgeschichte gar nicht mehr viel geforscht werden.

Im Gegenteil. Brandenburg hat viel nachzuholen in Sachen Mittelalter. Es gibt durch die DDR-Zeit ein unverschuldetes Nichtwissen, gerade was die Landes- und Kirchengeschichte betrifft. Es gibt einen Riesenbedarf, denn vieles, was vor dem 17. Jahrhundert liegt, ist in der Forschung noch immer ein Desiderat. Und wie geht man damit um? Reicht es, jetzt wieder wie beim Klosterbuch mit dem Klingelbeutel von Tür zu Tür zu gehen und bei Stiftungen nach Drittmitteln zu fragen?

Wie könnten diese neuen Strukturen aussehen?

Hier kann ich mir wie in anderen Bundesländern ein Institut für Landeskunde vorstellen, das Anliegen des Landeshauptarchivs, des Hauses der brandenburgisch-preußischen Geschichte, der Denkmalpflege, des archäologischen Landesmuseums, der AG „Städte mit Historischen Stadtkernen im Land Brandenburg“ und des Historischen Instituts der Universität hier vor Ort verbindet.

Könnten Sie sich unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt noch einmal vorstellen, so ein Projekt wie das „Brandenburgische Klosterbuch“ zu realisieren?

Ganz nüchtern gesagt, ist das Klosterbuch unter diesen Umständen nicht zu wiederholen. Ich darf das den Mitarbeitern auch nicht noch einmal zumuten, so arbeiten zu müssen. Deshalb wünsche ich mir, jetzt in eine strukturelle Diskussion einzutreten. In der Öffentlichkeit sehe ich eine Nachfrage, ein Interesse nach reflektierter Auseinandersetzung mit der Geschichte des Mittelalters. Ich erwarte von der Politik und auch der Universität, dass diesem Interesse angemessen entgegen gekommen wird. Mit den bisherigen Strukturen schaffe ich das aber nicht.

Gibt es da schon Signale seitens der Landespolitik?

Nein. Kulturministerin Johanna Wanka hat ein großes Interesse an solchen Themen. Das erklärt sie auch öffentlich. Nur wenn dann das Portemonnaie aufzumachen ist, wird es heikel. Der erste Schritt für das Klosterbuch kam von der Fritz-Thyssen-Stiftung, erst danach ist das Land mit einer angemessenen Summe hinzugetreten. Ich freue mich über jedes anerkennende Wort, das von der Politik kommt. Doch Vorschläge für konkrete Hilfe und Unterstützung habe ich bisher nicht gehört. Das Verständnis für meine Anliegen ist da. Die Frage ist nur, wie weit man auf politischer und universitärer Seite willens ist, diese umzusetzen.

Sie haben auch gesagt, dass da Klosterbuch nie selbstverständlich war.

Die Fritz-Thyssen-Stiftung hatte die Redaktionsarbeit mit einer halben wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle für drei Jahre von 2002 bis 2005 finanziert. Dann wurde es schwierig. Denn am Anfang waren wir nicht von diesem Umfang ausgegangen. Wir hatten ein einbändiges Werk mit 600 bis 700 Seiten geplant. Als wir dann im Sommer 2006 feststellen mussten, wir kriegen nicht einen Band mit 800 Seiten, nicht mit 1100, sondern mit 1500 Seiten zusammen, wurde die Finanzierung kritisch.

Sie hätten also eine verkürzte Fassung herausbringen müssen?

Das wäre von der Anlage des Projektes her kaum möglich gewesen, doch zum Glück ist in dieser Situation noch einmal die Thyssen-Stiftung eingesprungen. Die bisherige Arbeit am Klosterbuch wurde von mir nicht bekannten Gutachter überprüft, und die haben gesagt, das Projekt ist so außerordentlich, das müssen wir weiter finanzieren. Das haben dann auch andere wie die Alfred-Krupp-Stiftung getan. Es gab daneben eine Reihe von kleinen, aber in der Sache sehr wichtigen Förderern wie der Franziskanerorden. Das ging soweit, dass die Dekra unseren Drucker gesponsert hat.

Einen Sponsor für den Drucker?

Ich konnte mir einen Drucker für das Projekt Klosterbuch aus meinen normalen Mitteln nicht leisten. Da ist mein Lehrstuhletat zu Ende. So sieht die Wirklichkeit aus. Deshalb: Ohne die ständige Bereitschaft der Autorinnen und Autoren und der Projektmitarbeiter, weiterhin ohne entsprechende Honorierung bei der Stange zu bleiben, wäre das Klosterbuch ein Torso geblieben.

Gibt es trotz der Probleme Projekte, die Sie gern in Angriff nehmen würden?

Themen gibt es weiterhin genug, denn die Landesgeschichte birgt noch viele Schätze. Auch die Kirchen als geistliche Erinnerungsorte verdienen noch einmal eine angemessene Berücksichtigung. Aber das kann kein One-man-Projekt sein; man muss schauen, wo es Kolleginnen und Kollegen im Land gibt, die sich auf diesen Feldern auskennen und sich auch auf solche Ideen einlassen. Große Hoffnung setze ich auf die Schnittstellen mit der Kunstgeschichte. Was Wandmalereien im Land Brandenburg betrifft, denken Sie nur an die bischöfliche Burgkapelle in Ziesar. Aber dazu benötigt man stets auch aus der Universität heraus Strukturen, wie sie das Forschungsprofil „Regionale Identitäten“ an der Philosophischen Fakultät eigentlich bieten sollte.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Professor Heinz-Dieter Heimann hat in diesem Jahr zusammen mit anderen Autoren das zweibändige „Brandenburgische Klosterbuch“ herausgegeben. Es gilt mittlerweile als Standardwerk und kann als Forschungsbeitrag zum 850-jährigen Jubiläum Brandenburgs verstanden werden. Heimann ist seit 1994 Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität Potsdam, 2004 bis 2005 war er geschäftsführender Direktor des Historischen Instituts der Universität. Zuvor war Heimann Privatdozent am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Ruhr-Universität Bochum und hatte weitere Lehraufträge und Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Hannover und Paderborn. Des Weiteren ist Heinz-Dieter Heimann seit 2002 Mitglied im Vorstand der Brandenburgischen Historischen Kommission. PNN

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })